Do-it-yourself-Gastro am Donaukanaltun & lassen

Fahrradtaschen voll mit kühlem Bier. Wer die Gastro am Donaukanal zu teuer findet, kann sich von fliegenden Verkäufer_innen versorgen lassen. Deren Job ist mehr als prekär.

Text: Christof Mackinger, Illustration: Asuka Grün

Ein paarmal schon wollten Leute ihn zwingen, eine Dose herzuschenken. Sie hätten ihm gedroht, andernfalls die Polizei zu holen. «Aber ich verschenke Bier nur an Menschen, die kein Geld haben», erzählt Ahmed (Name v. d. Red. geändert), ein Mann Anfang 30. Dabei hat er eigentlich selbst kaum Geld.
Ahmed ist einer jener Menschen, die den Aufenthalt im öffentlichen Raum an einem lauen Sommerabend erst so richtig gemütlich machen. Er verkauft mehrmals die Woche gekühltes Bier, um 2,50 Euro das Stück, «bei großen Veranstaltungen am Karlsplatz oder bei der Regenbogenparade». Seit einem Jahr ist er auch regelmäßig am Donaukanal unterwegs. Erlaubt ist das allerdings nicht. Wo dabei das Problem liegen soll, ist auch Ahmed unverständlich: «Wir verkaufen ja keine Drogen. Es ist einfach nur kühles Bier.» Und das genießen seine Kund_innen sichtlich. «Gäbe es uns nicht, dann würden sie halt selber eine Palette Bier aus dem Supermarkt holen. Das müssten sie dann aber warm trinken.»
Seit Jahren bedienen undokumentierte Verkäufer_innen den Bierdurst der weniger Betuchten im öffentlichen Raum Wiens. Während Politik und Teile der Gastronomie gegen sie wettern, nehmen die meisten Konsument_innen ihre Dienste gerne in Anspruch.

Zustände am Kanal.

Mehrmals die Woche packt Ahmed gegen 20 Uhr sein Fahrrad voll mit gekühltem Gerstensaft in der Dose, um am Donaukanal seine Kundschaft zu versorgen. Je nach Wetterlage kann ein guter Abend schon bis 2 Uhr morgens gehen.
Seit Corona ist der Donaukanal als Treffpunkt und Partymeile für Jung und Alt beliebter denn je. Direkt am Wasser sitzen Gruppen junger Leute und unterhalten sich, daneben gehen Anwohner_innen joggen oder mit ihren Hunden spazieren. Pünktlich zum Wienwahlkampf haben sich aber Law-&-Order-Freund_innen auf den Donaukanal als politischen Spielball eingeschossen. Der Wiener ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer posaunte jüngst via Presseaussendung hinaus, dass er am Kanal ein «akutes Gesundheits-, Sauberkeits- und Sicherheitsproblem» sehe. «Jahrelang habe die Stadt Wien beim illegalen Getränkeverkauf zugeschaut und dadurch erst die Zustände am Donaukanal zugelassen», so der Text der Aussendung. Diese «Zustände» sind Mahrer zufolge: fehlende WC-Anlagen, unpassende Müllbehälter, und – ein besonderer Dorn in seinem Auge – die «illegale Partyszene», selbstorganisierte, konsumfreie Feiern junger Menschen unter freiem Himmel mit mitgebrachten Soundsystemen. Dass dabei Müll liegen bleibt, ist zwar bedauerlich, doch wenn Discos und Clubs coronabedingt geschlossen bleiben, sind Freiluftpartys wohl das gesündeste, was der Stadt passieren kann. Von Mahrer und Co. wird der fliegende Getränkeverkauf als Grund allen Übels dämonisiert. Vereinzelte Medien gingen so weit, von der «Biermafia» zu schreiben. Nichts könnte ferner der Realität liegen.

Geldverdienen ohne Arbeitserlaubnis.

«Die Leute gehen doch abends nicht wegen der Bierverkäufer raus», sagt Ahmed. Dass sein Job illegal ist, ist ihm bewusst. Dass ihm aber wenige andere Möglichkeiten bleiben, um Geld zu machen, ist drängende Realität. «Ich komme aus einem Land, in dem es politische Verfolgung gegen eine unterdrückte Minderheit gibt.» Daher ist er vor vier Jahren nach Österreich geflüchtet und wartet noch immer darauf, Asyl zuerkannt zu bekommen. «In Österreich dauern Asylverfahren zu lange, in der Zeit darf man nicht arbeiten. Und weil ich keine Arbeitsgenehmigung habe, verkaufe ich Bier.» Davor habe er undokumentiert in einem Kebab-Imbiss gearbeitet, für 3 Euro die Stunde. «Das ist auch illegal», meint er. «Ich will aber nicht mehr so schlecht bezahlt werden.» Jahrelange Asylverfahren brächten zwangsläufig zahllose Menschen hervor, die aufgrund fehlender Arbeitserlaubnis bereit sind, undokumentierte, unterbezahlte «Scheißjobs» zu machen, «und der Staat schaut zu», sagt Ahmed. Niemand, der in Österreich einen Aufenthaltstitel hätte, würde für drei Euro die Stunde arbeiten. Der Bierverkauf am Donaukanal sei zwar gefährlicher als der Job im Kebab-Imbiss, weil dauernd kontrolliert werde, er bevorzuge ihn aber wegen der Selbstbestimmung. «Hier nützt niemand mein Situation aus oder beutet mich aus.» Und der Lohn ist auch etwas besser: «Mit Bierverkauf verdient man nicht extrem gut. Mein Verdienst ist aber zumindest besser als 3 Euro pro Stunde», lacht Ahmed. Für Rücklagen für den Winter, wenn der Donaukanal leergefegt sein wird, sei sein Einkommen dennoch zu gering.

No risk, no beer.

Gleich drei Behörden haben es auf die fliegenden Bierverkäufer_innen abgesehen. Herkömmliche Polizeistreifen, das Finanzamt und die Gruppe für Sofortmaßnahmen der MA 59 (Marktservice und Lebensmittelsicherheit). Die Kontrolle der coronabedingten Beschränkungen sind Hauptmotiv der Einsätze, die radelnden Verkäufer_innen sind dabei aber gern gesehene Strafzettelempfänger_innen, «Beifang» sozusagen. Die Pressestelle der Wiener Polizei teilte auf Anfrage des AUGUSTIN mit, der undokumentierte Bierhandel unter freiem Himmel würde gegen die Hausierverordnung und die Gewerbeordnung verstoßen. Die Höhe der Strafen betrage «Richtwert einige hundert Euro». Ahmed ist dem bisher noch entgangen, er weiß aber von den Erfahrungen vieler Kolleg_innen: «Das Minimum liegt bei 150 Euro, und je nachdem, wie viel Bier man dabei hat, kann es auch mehr sein.» Von Geldstrafen bis zu 700 Euro wurde ihm berichtet, zudem würde das Bier beschlagnahmt. Die Wiener Polizei führe keine Statistik, wie viele Anzeigen gegen Bierverkäufer_innen verhängt würden, teilt ein Behördensprecher auf Anfrage mit. «Ich kann Ihnen aber sagen, dass es diese Saison einige wenige waren.»

Do-it-yourself-Engel am Fahrrad.

Seinen Kund_innen, sagt Ahmed, sei klar, dass der Bierverkauf, wenn man es genau nimmt, nicht erlaubt sei. Im Fall von Kontrollen würden ihn viele der Kund_innen warnen. «Sie finden es natürlich auch gut, dass wir Bier verkaufen. Die können sich keine 5 Euro für ein Bier im Lokal leisten.» Nach Kontrollen wurde er von Konsument_innen schon als «Held» oder gar als «Engel» bezeichnet. Allein manche der Betrunkenen seien anstrengend. Ein klassisches Problem der Gastronomie, mit dem sich auch Do-it-yourself-Gastronom Ahmed herumschlagen muss.
Das Verhältnis zu der unübersichtlichen Anzahl von Kolleg_innen ist ebenso solidarisch: «Wir kennen uns vom Sehen und quatschen manchmal.» Man spreche über die Lage und ob es Kontrollen gebe. Einige von ihnen seien ebenso im Asylverfahren, und auch sie «haben keine Lust mehr, schlecht bezahlt illegal zu arbeiten».
Warum die heimische Politik ein solches Aufheben um steuerfrei verkauftes Bier macht, ist Ahmed unbegreiflich. «Im Irak, in der Türkei oder im Iran kann man auf der Straße ohne Probleme Getränke verkaufen. Auch in manchen EU-Ländern wie Italien oder Spanien ist es viel lockerer als in Österreich.» Ein toller Job sieht dennoch anders aus: Die Kontrollen, das Risiko, die Prekarität, «das alles ist unangenehm genug», sagt Ahmed, und fügt hinzu: «Ich würde mich ja gerne an die Gesetze halten.» Nachdem diese Gesetze aber weiterhin zahllose Bedürftige ohne Arbeitserlaubnis hervorbringen werden, wird es die fahrenden «Engel» am Donaukanal wohl noch länger geben.

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