«Nicht Türken gegen Kurden»tun & lassen

Bahoz Sterk* ist ein austrokurdischer Aktivist in Wien. Mit dem AUGUSTIN spricht er übers Aufwachsen im Simmering der 1990er-Jahre zwischen antifaschistischer Politisierung, Grauen Wölfen und Skinheads, über die Zusammenstöße Ende Juni in Favoriten und was die österreichische Politik jetzt leisten muss.

Interview: Tobias Zortea, Lisa Bolyos, Illustration: Imre Bolyos

Bahoz Sterk: Ich bin in einer politischen Familie aufgewachsen. Trotzdem habe ich sehr lange nicht gewusst, dass wir nicht einfach Türken sind. Ich konnte ja auch Türkisch, und ich habe mich nicht als etwas anderes gefühlt. Wahrscheinlich vergleichbar mit einem Kroaten, der sich vor vierzig Jahren noch nicht so verschieden von einem Serben gefühlt hat. Dass ich Kurde bin, habe ich erst über die Reaktion der anderen Kinder gelernt. In der zweiten Volksschulklasse hat ein kasachischstämmiger Türke zu seiner Mutter über mich gesagt hat: «Das ist ein Kurde», und sie darauf: «Sag so etwas nicht über Menschen!» So habe ich gelernt, dass ich offensichtlich etwas Spezielles bin.

Du wurdest also erst zum Kurden «gemacht»?
In den Black-Lives-Matter-Protesten wird offensichtlich, dass die Erfahrung von Rassismus einen Menschen politisieren kann. Mir ist es ähnlich gegangen: Erst durch diese Erlebnisse bin ich zu einem politischen Menschen geworden. Ich war gerade sieben Jahre alt, als ich in Kars (Osttürkei) von einem Gendarmen aufgehalten und gezwungen wurde, mein Hemd auszuziehen, weil es rot-gelb-grün-weiß war. Hätte ich keinen Rassismus, keine Abwertung erfahren, wäre ich vielleicht ein ganz normaler Austrokurde geworden.

Wo bist du aufgewachsen?
Ich bin 1991 geboren. Wir haben zuerst in Margareten gewohnt und ab meinem neunten Lebensjahr in Simmering. Dort bin ich auch geblieben, bis ich 25 war.

Gab es dort linke Jugendgruppen?
Ich habe in Simmering gar keine antifaschistische Arbeit gesehen, egal ob türkisch oder österreichisch. Nur die kurdische revolutionäre Szene gibt’s natürlich in jedem Bezirk – die bewegen sich von Haus zu Haus wie die Zeugen Jehovas und stören die Menschen. Statt mit der Bibel halt mit revolutionären Zeitungen! Ihr lacht, aber ich weiß das, weil mein Vater diese Arbeit gemacht hat.

Welche rechten Gruppen gab es?
Bis 2005, 2006 waren auf den Straßen extrem viele Skinheads und Neonazis. Alle, die in den 1990ern in Simmering geboren sind, haben schon einmal Probleme mit ihnen gehabt. Ich erinnere mich, dass es einen Feldweg gab, da konnten wir nicht durchgehen, weil die dort so präsent waren. Und damals, muss ich sagen, gab es auch die Trennung in ideologische Gruppen aus der Türkei und Kurdistan nicht in dem Ausmaß. Wir haben gewusst, wir haben einen gemeinsamen Feind. Je mehr Simmering gewachsen ist und Leute mit Migrationshintergrund hingezogen sind, umso weniger wurden die Neonazis. Und die ideologischen Gräben zwischen rechten türkischen und linken türkischen und kurdischen Jugendlichen wurden tiefer. Wobei ich mich an keine Grauen Wölfe oder türkischen Islamisten erinnern kann.

Erklär doch mal, was die Grauen Wölfe überhaupt sind.
Eine nationalistische-islamistische rechtsradikale Gruppierung, zu deren Feindbildern Juden, Armenier, Griechen, Kurden, Aleviten, Linke, Feministinnen, Demokraten und der ganze Westen gehören. Sie glauben daran, dass die Türken eine überlegene Rasse sind und dass ihre Heimat das Turan-Reich ist, das von Ungarn bis in die Mongolei und West-China reichen soll. Bei ihrer Gründung waren sie eine Art Parteimiliz der MHP (Milliyetçi Hareket Partisi, Partei der Nationalistischen Bewegung), aber in den letzten fünf Jahren verwenden alle möglichen Parteiangehörigen das Zeichen der Grauen Wölfe – auch Erdoğan von der AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) oder Kemal Kılıçdaroğlu von der CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, Republikanische Volkspartei). Mehrere Attentate wurden von Grauen Wölfen durchgeführt, etwa das auf den armenischen Journalisten Hrant Dink oder auf Papst Johannes Paul II. Vor wenigen Wochen erst wurde in Dortmund der Kurde Ibrahim Demir von einem Anhänger der Grauen Wölfe totgeprügelt.
Wie kommen aber Jugendliche in Wien dazu, Graue Wölfe zu werden?
Oft spielt die Familie eine Rolle, aber ich kenne auch welche, die aus linkem Elternhaus kommen. Es hat eine gewisse Popularität unter türkischen Jugendlichen, stolz darauf zu sein, Türke und Nationalist zu sein. Und es ist halt nichts Verpöntes, zu den Grauen Wölfen zu gehören. Wenn in Österreich einer sagt: «Ich gehöre der identitären Bewegung an» oder «Ich bin Burschenschafter», dann wird er von 50 Prozent der Menschen komisch angesehen und gemieden. Aber in der Türkei ist es was ganz Normales. Auch wenn die Freunde vielleicht selber CHP-Wähler sind, also vermeintliche Sozialdemokraten, würden sie dich nicht ausgrenzen. Es ist voll normal, so als würde man sagen: «Ich bin SPÖ-Wähler.»

Es gibt also auch keine Aussteigerprogramme wie für Neonazis?
Hier in Österreich definitiv nicht. Und die Leute hätten es auch schwer, weil die Community ziemlich übersichtlich ist.

Woran können Jugendliche Graue Wölfe erkennen?
In Simmering gibt es bis heute keine offiziellen Vereine, aber es gibt Cafés und Internetcafés, wo du weißt, dass sich solche Gruppierungen aufhalten. Teilweise setzt du dich hin, der Gastronom bringt dir Kaffee, macht Smalltalk, du hast vielleicht gar keine Lust auf eine politische Diskussion, aber es geht schon los. Woher kommt deine Familie? Die Stadt verrät schon, wie du tickst: Wenn einer aus Thrakien kommt, ist er eher Kemalist als Fundamentalist, wenn einer aus Diyarbakır kommt, wählt er eher die HDP (Halkların Demokratik Partisi, Demokratische Partei der Völker) als die AKP. Manche Besitzer machen auch keinen Hehl daraus, dass sie Graue Wölfe sind, und haben ein Social-Media-Profilfoto mit Wolfsgruß, der in Österreich verboten ist. Man könnte hunderte Anzeigen gegen Menschen machen, die sich öffentlich mit Wolfsgruß zeigen. Aber in der Linken herrscht halt die Mentalität, dass man nicht mit der Polizei zusammenarbeitet. Wobei, wenn der Verfassungsschutz Interesse hat, kann er es eh selber rausfinden.

SPÖ und ÖVP wird auch Zusammenarbeit mit den Grauen Wölfen und AKP-nahen Austrotürk_innen vorgeworfen. Zu Recht?
Ich versteh die Pattsituation der österreichischen Politik: Von, sagen wir, 300 türkischen Vereinen sind vielleicht fünf demokratisch gesinnt. Wenn man jetzt die anderen 295 Vereine ausschließt, ist es so, als würde man die Türken per se ausschließen. Aber es macht trotzdem keinen Sinn, wenn man sich in der sozialdemokratischen Partei mit Islamisten und Nationalisten hinsetzt und diesen Leuten Führungsposten überlässt, wie es auf Bezirksebene passiert.

Aus Unwissen oder Strategie?
Strategie. Man hat 300.000 türkischstämmige Menschen hier, man sieht, es gibt einen Rechtsruck, dann nimmt man natürlich islamistische oder nationalistische Türken als Kandidaten. In Ternitz, wo 80 Prozent der Türkeistämmigen Kurden sind, nimmt man Kurden, in Graz genauso, aber in Wien, wo etwa zwei Drittel der Türkischstämmigen nationalistisch sind, richtet man sich eben nach ihnen.

Im Juni ging es in Favoriten heiß her. Du hast Proteste, Angriffe und Gegenproteste selbst miterlebt. Was hast du da gesehen?
Ich habe in der Arbeit erfahren, dass am Keplerplatz eine kurdischer Kundgebung von einer Gruppe attackiert wurde und bin aus Solidarität mit einem Freund hingefahren. Beim Wielandpark haben wir diese etwa 30 Leuten gesehen, junge, unorganisierte Leute, die dort wohnen und abhängen. Kurz darauf kamen ein paar kurdische Jugendliche, es kam zu einer Auseinandersetzung. Die Polizei kam dazu und wir konnten ins EKH (Ernst-Kirchweger-Haus) verschwinden. Beide Seiten haben mobilisiert, bis ein paar hundert Leute da waren. So ging es Tag für Tag weiter: Die Kurden organisierten eine Demo gegen den Angriff, die Faschisten mobilisierten ihre Kräfte; und ab dem zweiten Tag waren das keine jungen, spontan zusammengekommenen Anwohner mehr, sondern Geschäftsleute aus Favoriten und darüber hinaus.

Was ist deine Beziehung zum EKH?
Ich habe eine Sympathie fürs EKH, seit ich vierzehn, fünfzehn war, war ein paar mal dort zum Teetrinken, aber organisatorisch habe ich nichts damit zu tun. Ich sage aber ehrlich, vor zehn Jahren kam mir die antifaschistische Szene in Wien eher so vor wie lauter Besoffene und Hippies, während ich in den Tagen im Juni echt Respekt bekommen habe: Das waren ganz normale Leute, Uniabsolventen, mit denen konnte man richtig reden.

Hat die Hetze rechter Austrotürk_innen gegen Kurd_innen eine neue Dimension erreicht?
Sie ist sicher stärker geworden. Wenn man 2015 einen HDP-Stand am Reumannplatz aufgestellt hat, ist gar nichts passiert. Die türkische Community hier, und das werfe ich ihr auch nicht vor, wird von der Politik in der Türkei beeinflusst. Wenn dort eine Friedensverhandlung stattfindet, lockert das überall das Klima, in Toronto genauso wie in Wien. Und wenn jetzt seit fünf Jahren Kriegszustand ist, verschärft sich eben auch hier das Klima.

Die österreichische Politik hat sich recht schnell in die Vorkommnisse eingemischt.
Von Sebastian Kurz habe ich nur gehört, dass er nicht tolerieren kann, dass österreichische Polizisten attackiert werden. Die Angriffe der Rechten auf eine antifaschistische Kundgebung war dem Kanzler keine Erwähnung wert. Ich war vier Tage dabei und ich muss ehrlich sagen, ich habe nicht einen einzigen Angriff auf einen Polizisten gesehen, von keiner der beiden Seiten. Ich habe gesehen, wie die Polizei sich verhält, wie sie mit dem Rücken zu den Faschisten auf uns zukommt, und wie sie Lücken aufmacht, durch die die beiden Seiten aneinandergeraten hätten können. Diese Instrumentalisierung um jeden Preis hat mich erschreckt.

Welches Interesse kann es geben, einen Konflikt in Favoriten zu instrumentalisieren?
Man hat eine gemeinsame Angriffsfläche: angeblich importierte Konflikte zwischen Türken und Kurden. Dabei sind die einzigen, die «importiert» wurden, die rechten Vereinigungen. Aber niemand hat ein Interesse, diese Strukturen zu zerschlagen – man lässt sie bewusst am Leben, das bringt Punkte und Wählerstimmen und vielleicht eine Budgeterhöhung bei der Polizei.

Was sagst du zu dem Runden Tisch, zu dem Innenminister Nehammer und Integrationsministerin Raab einladen wollten?
Wenn man keine Ahnung von den Verhältnissen hat, klingt das gut: Die versuchen, einen Konflikt zu lösen. Aber näher betrachtet ist es natürlich verrückt, alle an einen Tisch zu holen. Man würde ja auch nicht Leute, die einen jüdischen Supermarkt beschmieren oder auf einen Juden mit Kippa losgehen, einladen und sagen, komm lass uns reden, vielleicht finden wir eine Lösung. Es gibt kein Problem zwischen Türken und Kurden, sondern zwischen Faschisten und Antifaschisten. Habt ihr den Fünf-Schritte-Plan der Regierung gesehen? Man versucht, mit Mittelschullogik einen politischen Konflikt zu lösen: ein Gipfel mit Vereinen, Deutschkurse, Polizeischulung für Jugendliche.
Schulung im Nahkampf? Das wär die Lösung für alles!

Was wäre wirklich die Lösung für alles?
Man dürfte gewissen Vereinen keinen Spielraum geben. Leute, die hetzen, muss man entsprechend strafen. Sonst ist es ein Erfolg für die türkischen Faschisten: «Wir haben vier Tage lang Demonstration gestört und es kommt zu keiner Anzeige.» Außer man ist der Polizei vielleicht unabsichtlich auf die Schuhe getreten. 

*Name v. d. Red. geändert

Es steht ein Haus in Favoriten

An der Ecke Gudrunstraße/Wielandgasse steht das Ernst-Kirchweger-Haus. Ende Juni war es wieder einmal in den Medien. Was ist das für ein Haus? Ein Rückblick auf dreißig Jahre Favoritener Lokalgeschichte.

Text: Andreas Pavlic, Illustration: Imre Bolyos

«Wir haben ein Haus besetzt.» So beginnt das Flugblatt, das am 23. Juni 1990 in Favoriten verteilt wurde. «Wir, eine Gruppe ausländischer und österreichischer AktivistInnen haben die Wielandgasse 2–4 besetzt. Das Gebäude wurde in den zwanziger Jahren von tschechoslowakischen Arbeiter_innen als Schule erbaut. Seit 1945 ist das Objekt in Besitz der KPÖ. Seit Jahren ist ein Großteil der Räume unbenützt.» Das Ziel der Besetzer_innen war, ein internationalistisches und antifaschistisches Zentrum zu errichten. Sie nannten es Ernst-Kirchweger-Haus (EKH), nach einem kommunistischen Antifaschistischen, der 1965 auf einer Demonstration in Wien von einem Neonazi ermordet worden war.

Dreckig, laut und angeschmiert.

Torsten vom Archiv der sozialen Bewegungen zeigt mir die Ordner, in denen Plakate und Flugblätter aufbewahrt sind. Er weiß viel über die wechselhafte Geschichte des EKH. Von den Auseinandersetzungen mit der Eigentümerin in der Anfangszeit, den vielen Unterstützer_innen wie Elfriede Jelinek, Michael Scharang und Peter Turrini, den Aufführungen des Volxtheater Favoriten Mitte der 90er Jahre, der Kindergruppe und den Unterkünften für geflüchtete Menschen in Kooperation mit Wiener NGOs. 2004 dann der Verkauf des EKH durch die KPÖ an einen rechtsextremen Securityunternehmer und die langen Verhandlungen mit der Stadt Wien, die sich letzten Endes entschloss, das Gebäude zu kaufen und alle Gruppen und Projekte, die keinen rechtmäßigen Mietvertrag hatten, mit einem solchen auszustatten. Gegenwärtig umfasst das EKH neben einem Wohn- und Veranstaltungsbereich die Gruppen DIDF (Föderation demokratischer Arbeitervereine), ATIGF (Föderation der Arbeiter und Jugendlichen aus der Türkei in Österreich) und den Dachverband serbischer Kultur- und Sportvereine.
Während das EKH im europäischen Vergleich aufgrund seiner Größe und Vielfalt eine Sonderstellung unter den autonomen Zentren hat und mehr an Amsterdam oder Berlin erinnert, hat es in Favoriten einen Alienstatus und ist seit Beginn auch Anfeindungen ausgesetzt. Neben den handfesten politischen Gründen sind es auch ästhetische – zu dreckig, zu laut, zu viele Schmierereien. «Favoriten ist kein Szenebezirk», meint Torsten lachend und verweist auf Kreuzberg in Berlin und die Schanze in Hamburg, wo subkulturelle Erscheinungsbilder zum Stadtteil gehören.

Vielfältiges Favoriten.

Wahrscheinlich dachten nur wenige der damaligen Besetzer_innen, dass das EKH im Jahr 2020 mit einem Straßenfest am Keplerplatz seinen 30. Geburtstag feiern würde. Nadir Aykut, langjähriges Mitglied der ATGIF und Obmann von VTID, einem der ersten Vereine von Stundet_innen aus der Türkei, erzählt, wie wichtig es war, das EKH zu besetzen, um einen Ort für Veranstaltungen und Treffen zu haben und Teil eines antifaschistischen Projekts zu sein.
Er ist auch Sänger und Saz-Spieler bei der Gruppe Orient meets Occident. «Das EKH und Favoriten sind wie meine Gruppe. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, aber wir leben in Frieden! Wir machen gemeinsam Musik und sind gegen Rassismus und Faschismus.» Der Beifall am Straßenfest, bei dem sie neben anderen Künstler_innen wie Voodoo Jürgens, Stefanie Sargnagel und Flowers in Concrete auftreten, ist groß.
Der Zehnte ist ein klassischer Arbeiter_innenbezirk, der seit über hundert Jahren stark migrantisch geprägt ist. Gegenwärtig sind es vor allem Bewohner_innen mit Migrationsgeschichte von den Balkanländern, aus der Türkei und den kurdischen Gebieten, die hier leben und das Bezirksbild entlang der Favoritenstraße prägen: mit Geschäften, Imbissbuden, Restaurants oder Marktständen und den unterschiedlichen Sprachen, die in der Fußgängerzone zu hören sind. Hier zeigt sich die gesellschaftliche Diversität des heutigen Wien, das lässt Döbling wie eine schnöde Parallelgesellschaft erscheinen. Historisch eine sozialdemokratische Hochburg, konnte in den letzten Jahrzehnten die FPÖ eine breite Wähler_innenschicht erringen und nutzt diesen Bezirk für ihre großen Wahlkampfveranstaltungen. Das alles macht Favoriten zu einem politisch aufgeladenen Bezirk.

Angriff in der Wielandgasse.

Am 24. Juni griffen die Grauen Wölfe (mehr dazu im Interview, s. u.), eine feministische Kundgebung an, die sich gegen Femizide und Gewalt an Frauen richtete. Die kurdischen, türkischen und österreichischen Teilnehmer_innen flüchteten daraufhin ins EKH, worauf ein aufgebrachtes Rudel junger Männer bis in die Nacht hinein versuchte, das Haus zu stürmen. Als Reaktion auf diese Übergriffe fand am darauffolgenden Tag eine Demonstration statt, die wieder von türkischen Nationalist_innen gestört wurde. In der darauffolgenden Nacht kam es zur massivsten Attacke auf das EKH. Vom naheliegenden Wielandpark stürmten die Rechten zum Ernst-Kirchweger-Haus und versuchten die Eingangstüren aufzutreten, schlugen Scheiben ein und warfen Böller. Am Folgetag eine weitere antifaschistische Demonstration mit über 500 Menschen. Knapp nachdem sie sich in Bewegung gesetzt hatte, wurde sie von einem massiven Polizeiaufgebot angehalten, da Gruppen von Grauen Wölfen versuchten, sie zu attackieren. Nach Demonstrationsende am Hauptbahnhof wurden vereinzelte Teilnehmer_innen angegriffen und verletzt, wie etwa der kurdische Journalist Nurettin Civandag, dem auf dem Heimweg aufgelauert wurde. Eine weitere Demonstration mit über 1.500 Teilnehmer_innen, die als Reaktion am nächsten Tag, dem 27. Juni, stattfand, ging ungestört über die Bühne.
Auf die Ereignisse der letzten Tage angesprochen, meint Ulrike, eine langjährige Bewohnerin und Aktivistin des EKH, zunächst lakonisch: «Anstrengend war’s.» Dann betont sie, wie wichtig es sei, genau hinzuschauen und die Vorfälle nicht, wie manche Parteien oder Medien es versuchen, als ethnischen Konflikt zwischen Türk_innen und Kurd_innen abzutun. «Die Angriffe waren politisch motiviert und richteten sich gegen feministische und antifaschistische Personen und Ideen. Der Freiheitskampf der Kurd_innen in Rojava und die aktuellen Angriffe der türkischen Armee bilden nur den Bezugsrahmen.» Auf die Grauen Wölfe angesprochen meint Ulrike: «Man kann sagen, sie sind bestens integriert, sie leben und arbeiten hier, manche sind gut etablierte Geschäftsleute, und sie haben ihre Vereine und Moscheen. Es sind nicht nur ein paar halbstarke Jungs aus den Parks.»

Das EKH wird bleiben.

Nach den Ereignissen rund um die Angriffe der Grauen Wölfe versuchte die ÖVP in einer Presseaussendung die Gunst der Stunde zu nutzen und forderte eine Schließung des EKH. Dabei ist für eine Metropole wie Wien das Gegenteil notwendig: Es braucht mehr Platz für politische und kulturelle Bewegungen und Häuser für alternative Lebens- und Wohnformen. Das EKH und seinen Gruppen werden ungerührt von rechten Zwischenrufen weiter an ihrer Geschichte schreiben und wohl noch ein paar Jahrzehnte bleiben, mitten in Favoriten.