Ein Wohnbau für zwischendurchtun & lassen

Immo Aktuell

Bis ein Baugrundstück tatsächlich bebaut wird, liegt es brach. Auf solchem Boden ermöglichen temporäre Bauten das Wohnen auf Zeit.

Text: Evangelista Sie
Illustration: Much

Zirka sieben Meter ragt die Holzfassade der PopUp dorms hoch, dem Studierendenheim in der Sonnenallee 28–30 in der Seestadt Aspern. Im Oktober 2021 wird das Gebäude nordöstlich, wenige hundert Meter entfernt in der Sonnenallee 105 stehen.
Temporäres Wohnen ist das Stichwort, unter dem die PopUp dorms gebaut wurden. Das Heim besteht aus 20 Holzmodulen, hat eine temporäre Baubewilligung von fünf bis zehn Jahren, einne technische Nutzungsdauer von zirka 40 Jahren – und kann drei bis vier Mal umgesiedelt werden. Das erzählt Michael Gehbauer, Geschäftsführer der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte, Bauträger der PopUp dorms und Preisträger des Immobilienpreises von FIABCI 2019 in der Kategorie Leistbares Wohnen: «Das Gebäude wird in einer Fabrikhalle errichtet, also unter günstigeren Produktionsbedingungen, nicht bei Wind, Schnee, Regen, Hitze, Kälte. Das quasi fertige Produkt wird auf das Grundstück gebracht und zu einem Gebäudekomplex zusammengefügt.» Die Errichtung auf der Baustelle dauert zwei Wochen, die Vorfertigung zirka zweieinhalb Monate. Die Gesamtkosten des temporären Gebäudes liegen gleichauf mit seinen massiven Pendants. Die Kosten niedrig zu halten, sei auch nicht Sinn und Zweck der Sache, sagt Gehbauer. «Der Zweck war, eine temporäre Nutzung von Liegenschaften sicherzustellen und Gebäude zu errichten, die übersiedelt und woanders wieder aufgestellt werden können.»

Temporär wohnen.

Wie eine Liegenschaft genutzt werden darf, regelt die Flächenwidmungsplanung. Eine Flächenwidmung als Bauland heißt nicht, dass sofort zu bauen begonnen wird, bestätigt die Magistrats­abteilung für Stadtteilplanung und Flächennutzung (MA 21). Das Konzept der temporären Bauten soll daher den Boden bis zur dauerhaften Bebauung nutzbar machen. «Es handelt sich um eine Art ‹temporäre Nachverdichtung›. Das heißt, es wird zwar Boden verbraucht, aber auf einem Standort, der ohnedies schon für Verbauung vorgesehen ist», erklärt Gundula Prokop, Boden­expertin des Umweltbundesamts. «Im Sinne des Bodenschutzes ist dieses Konzept positiv zu sehen. Auch aus Perspektive der Ressourcenschonung ist das Projekt positiv zu sehen, wenn die Wohneinheiten tatsächlich demontiert und woanders wieder aufgebaut werden.»
Knapp zwei Kilometer nordwestlich der PopUp dorms erstreckt sich zwischen der Podhagsky- und der Pfalzgasse ein temporärer Wohnbau der Stadt Wien. Das Schwestergebäude steht in der Siemensstraße 142 in Floridsdorf. Beide Wohnhäuser entstanden als Sofortprogramm Temporäres Wohnen, ein Teil der Wohnbauoffensive 2016 der Stadt Wien. Möglich machte sie die Änderung des § 71 der Wiener Bauordnung, die ab 2015 die temporäre Nutzung von Flächen, die noch keine «Wohnbauwidmung» hatten, für Wohnzwecke erlaubte. 1.000 temporäre Wohnungen waren geplant. 340 sind es geworden – um rund vier Millionen Euro an Fördermitteln, wie das Wohnbauressort der Stadträtin Kathrin Gaál bestätigt.

Verschobene Wohnungsnot.

Zwei Drittel der Wohnungen vergibt die Stadt über das Wohnticket, ein Drittel vergeben Träger, die vom Fonds Soziales Wien anerkannt sind. An jene ohne Wohnticket vergibt Wiener Wohnen über die Soziale Wohnungsvergabe rund 1.000 Wohnungen, heißt es in der Stellungnahme. Dennoch bleiben die sozialen Wohnungen in Wien für viele armutsgefährdete Menschen unerreichbar, wie selbst der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft im Bericht zum leistbaren Wohnen 2019 feststellt: «Paradoxerweise müssen sich mehr als die Hälfte (53 %) der einkommensschwächsten und somit armutsgefährdeten Mieter am privaten Mietwohnungsmarkt wohnversorgen, während der soziale Wohnbau (Gemeinde oder Genossenschaft) für mehr als ein Drittel der Mieter mit einem oberen Einkommen […] zur Verfügung steht.» Wartefristen von fünf Jahren und hohe Baukostenzuschüsse erschweren die Wohnungssuche.
Jene, die die Wohnungen bekommen, stehen spätestens am Ende der Nutzungsdauer der Liegenschaft wieder vor der Wohnungssuche. Verschieben die temporären Bauten die Wohnungsnot nur um fünf bis zehn Jahre? Nein, denkt die Stadt Wien: «Ein Großteil des geförderten Wohnbaus in Wien wird dauerhaft errichtet. Aktuell sind in Wien rund 24.000 Wohnungen in Bau oder Planung.» Über 4.000 Wohnungen im Gemeindebau Neu und weitere 1.500 neue Gemeindewohnungen seien auch auf dem Weg. Was dann mit den temporären Bauten passieren wird, ob sie 2028 wie die PopUp dorms weiterwandern, ist ungewiss.