Lokalmatador Nr. 540: Elena Resch
Elena Resch bildet mit ihrer besonderen Sicht auf Wien künftige Community-Coaches aus.
Ja, sie freut sich: Dass auf Anhieb 120 Menschen in Wien Interesse an dem von ihr mitenwickelten Ausbildungsangebot bekundet haben; dass sie dann mit siebzig Interessierten «konstruktive Einzelgespräche» führen durfte; dass nach Ende des Auswahlverfahrens 17 Frauen und fünf Männer den ersten Lehrgang der «wohnpartner»-Akademie begonnen haben; und dass jetzt alle 22 «mit großem Engagement» teilnehmen.
Perestrojka
Elena Resch leitet die neue Akademie der Stadt Wien und deren Lehrgang. Sie bringt für diese Aufgabe neben ihrer Ausbildung eine Sicht auf Wien und die Welt mit, die in dieser Form wohl einzigartig ist: Sie wurde 1962 in der sibirischen Großstadt Omsk geboren, hat dort während ihres ersten Studiums (Literatur, Sprachwissenschaft und Journalismus) Gemeinwesen-Projekte mitentwickelt. «Das war eine Zeit des Aufbruchs», erinnert sie sich gerne. Es war die Regierungszeit von Mihail Gorbatschow und seiner «Perestrojka».
Im Jahr 1995 übersiedelte Elena Resch mit ihrem Mann, einem Diplomingenieur, und ihrer ersten Tochter von Omsk in die westdeutsche Kreisstadt Siegen, wo sie parallel zum zweiten Studium (Pädagogik, Erziehungs- und Sozialwissenschaft) als Guest Managerin in Erstintegrationsstellen weitere berufliche Erfahrungen sammeln konnte. Zwölf Jahre später packte sie noch einmal ihre Koffer, um in Wien als Teamleiterin der Gebietsbetreuung für den 3., 4. und 11. Bezirk neu zu beginnen. Was für eine Familiensaga: In Siegen brachte sie ihre zweite, in Wien ihre dritte Tochter zur Welt.
Zurück zum aktuellen Lehrgang. Er nennt sich «Wohnumfeld-orientierte Beratung», begann im Oktober 2023 und endet nach dem zweiten Semester im Juni. Wer den Abschluss schafft, darf sich Nachbarschafts- und Community-Coach nennen, und er:sie darf sich gute Chancen auf einen interessanten Job in der Stadt Wien oder im Auftrag der Stadtverwaltung ausrechnen.
«Wir haben festgestellt, dass sich die Gesellschaft nicht erst seit Corona rasant verändert», erläutert Elena Resch die Idee hinter der neuen Ausbildung. «Daher ist es notwendig, dass wir den Überforderten Orientierung bieten.»
Überforderung sei übrigens keine Schande: «Selbst für Berater:innen ist es heute gar nicht so einfach, den Überblick über alle aktuellen sozialen Angebote zu behalten.» Die Rasanz bringt indes auch Menschen mit neuen Ressourcen nach Wien: «Die muss man erkennen und dann fördern.»
Rote Hilfe
Viel gelernt hatte Elena Resch zuvor auch bei ihrer Quartierarbeit in Siegen, Köln und anderen Städten Nordrhein-Westfalens. Als Sozialforscherin begleitet hat sie zum Beispiel ein Projekt für Frauen, deren Männer mit einer Green Card zum Arbeiten nach Deutschland gekommen waren: «Da gab es viele Konflikte, viel Depression, viel Enttäuschung, auch Scheidungen, denn die Frauen durften trotz guter eigener Ausbildung keine Arbeit annehmen.»
Im Rahmen eines historischen Projekts der Universität Siegen konnte Elena Resch auch ihre Mehrsprachigkeit nützen. Konkret wurde die «Rote Hilfe» und ihr Wirken in den 1920er-Jahren erforscht: «Die haben zum ersten Mal in ganz Deutschland Sozialarbeit angeboten. Wir konnten uns nach der Öffnung der Archive in Moskau auch ansehen, was mit jenen Mitabeiter:innen passiert ist, die dann in die Sowjetunion emigriert sind.»
Elena Resch war dabei, als im Jahr 2010 die «wohnpartner» ihre Arbeit in den Wiener Gemeindebauten aufnahmen. Inzwischen hat sie die Stadt an der Donau und deren Bewohner:innen besser kennen gelernt: «An meinem ersten Arbeitstag war ich um zehn Minuten vor neun da. Und alle trudelten nach mir ein. Gemütlich, mit der Kaffeetasse in der Hand, alle waren per Du. Das war für mich schon ein Kulturschock.» Heute weiß sie den Schein richtig zu deuten: «Man muss in Wien viel arbeiten, aber ich bekomme auch viel zurück.»
Urvertrauen
Anfreunden musste sie sich auch mit der Wiener Skepsis: «Meine Eltern gehören einer Generation an, die nach dem Krieg wie Phönix aus der Asche auferstanden ist. Sie gaben mir ein Urvertrauen in das Leben mit.» Die Weite Sibiriens fördere zusätzlich die Offenheit gegenüber Fremden: «Wenn du dort einen Menschen triffst, dann freust du dich.»
Diese Freude konnte sie sich in Wien behalten. Die Floristin, der Baumeister, die Bankmanagerin: 22 Menschen begleitet sie jetzt in ihrer Akademie, und jede:r sei eine spannende Persönlichkeit: «Für mich ist das unglaublich schön, dass wir hier gemeinsam etwas Neues entwickeln können.»