Zum Tod von Rudolf BurgerDichter Innenteil

(Foto: Mario Lang) Johann Nepomuk Nestroy, ein Vorläufer Burgers

Herr Groll auf Reisen, 394. Folge

Herr Groll erwartete auf der Donauinsel seinen Freund, den Dozenten. Er müsse mit ihm über den Tod des Philosophen und Essayisten Rudolf Burger reden, hatte dieser gesagt. Groll überbrückte die Zeit bis zum Eintreffen seines akademischen Freundes, indem er überlegte, was er zu Burger sagen könne.

Zuerst einmal würde er feststellen, dass Rudolf Burger nach eigenen Aussagen kein Philosoph gewesen sei. Er habe sich als Antiphilosoph in der klassischen Tradition der Sophistik gesehen, so Burger. Sophisten waren Männer der griechischen Antike, die als besonders klug oder begabt galten, sie waren Mathematiker, Handwerker, Dichter, die als Wanderlehrer mit dem Vermitteln von Fertigkeiten und Kenntnissen ihren Lebensunterhalt verdienten. All die großen Köpfe aus der Antike von Platon über Aristoteles, Solon und Pythagoras wurden daher immer auch Sophistiker genannt. Sie bildeten keine geschlossene Strömung, es gab auch keine sophistische Schulen. Die Sophisten hatten eine aufgeklärte Haltung zur Religion. Sie gingen davon aus, dass die Menschen und nicht die Götter das menschliche Schicksal lenken.

Dann würde Groll feststellen, dass Burger, der studierter Physiker war, sich den naturphilosophischen Rationalisten zurechnete. Von der erkenntnistheoretischen Dimension würde er sich als materialistischen Skeptiker bezeichnen und von der moralphilosophischen Seite als agnostischen Marxisten, so der Verstorbene.*

Von früher Jugend an war Burger gewohnt, mit seinem Vater, einem Schlosser aus dem Arbeiterbezirk Ottakring, über Politik zu diskutieren. In der NS-Zeit sei der Vater Kommunist gewesen, sagte Burger, eine bessere und radikalere Einsicht in die Verhältnisse habe er sich nicht wünschen können.

Rudolf Burger war dafür bekannt, dass er an die Stelle einer Bobo-Linken mit ihrer Lifestyle-Politik und ihren versponnenen Welterklärungen eine materialistische Fortführung des aufgeklärten Denkens setzte. Die geistige Auseinandersetzung betrieb er nicht wie heute üblich mit verschwurbelten Derivaten einstiger Parolen, sondern mit klaren, nachvollziehbaren Argumenten, denen er auch die dementsprechende Form verlieh. Wenn diese Vorgangsweise Fremdworte notwendig machte, verwendete er diese ohne Scheu. Eingedenk der Feststellung Adornos aus der Minima Moralia, derzufolge Fremdwörter die Juden der Sprache seien, gab er einem Gedanken die ihm geziemende Form – trocken, klar und ohne Illusion.** Seine Absicht zielte auf die «Ent-Täuschung», auf das Denunzieren der Heuchelei. Er beharrte darauf, dass so manche Schwierigkeit des Denkens auch in der sprachlichen Form erscheinen müsse. Einen komplexen Sachverhalt als solchen zu beschreiben, ist eine ordentliche Schippe Arbeit, man soll die Anstrengung nicht durch infantiles Kauderwelsch des­avouieren. Wenn das Wort in die Welt tritt, nur um sich mit dem nächsten erreichbaren Kompromiss gemein zu machen, hat es auch schon abgedankt.

Es war Rudolf Burger, der als erster die ressentimentgeladene österreichische Außenpolitik gegenüber dem untergehenden Jugoslawien attackierte und Österreichs Mitschuld an den fünf jugoslawischen Zerfallskriegen festhielt. Er wies darauf hin, dass fünf österreichische Landeshauptmänner und Außenminister Mock der Ausrufung der Republik Kroatien in Zagreb beiwohnten – unbeschadet der Tatsache, dass die Verfassung der neuen Republik den serbischen Teil der Bevölkerung zu Parias im eigenen Staat degradierte, eine Konstellation, die für jeden historisch denkenden Menschen einen Krieg unausweichlich machte. Entgegen den Warnungen vieler Staaten und der flehenden Bitte Frankreichs, besonders Österreich und Deutschland mögen aus historischer Rücksichtnahme die Abspaltung Kroatiens nicht befeuern und die Rückgriffe der neuen kroatischen Führer um Franjo Tudjman auf den Ustascha-Faschismus und dessen religiöser Verbrämung durch die katholischen Kirche scharf zurückweisen. Aber nein, das politische Österreich um Außenminister Mock goss solange Öl ins Feuer, bis der gesamte Balkan in Flammen stand. «Kriegsgeiler Kiebitz» nannte Burger damals in einem berühmt gewordenen Artikel den österreichischen Außenminister, und der lebenslange Hass staatlicher Würdenträger und ihrer Sprachrohre in den Zeitungen dieses Landes war ihm, Burger, sicher.

Mit hoher Geschwindigkeit näherte sich der Dozent. Herr Groll fuhr ein paar Schritte zur Seite.

* Wiener Zeitung, 22. 4. 2021
** Alfred J. Noll, ebenda, Stendhal zitierend