«Homo urbanus»vorstadt

Lokalmatadorin

Elisabeth Oberzaucher erforscht, wie sich das Leben des «Homo urbanus» verbessern ließe. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).Auch die Frage, warum die Enttäuschten in Wien heute eine solide Mehrheit bilden, beschäftigt Elisabeth Oberzaucher. Die Analyse der Verhaltensbiologin klingt einleuchtend: «Früher hat man sich mehr an der unmittelbaren Nachbarschaft orientiert. Da musste man auch nicht so neidig sein. Heute sehen die Menschen in den Medien entweder Reich und Schön oder Mord und Totschlag.»

Das schafft Neid. Und Angst: «Eigentlich will man auch reich und schön sein, aber da ist man immer der Loser. Die Frau ist nicht so schön, der Mann hat keinen so coolen Job, die Kinder sind nicht so gescheit, und auch das Auto ist nicht groß genug.»

Wir treffen Oberzaucher auf dem Brunnenmarkt, der heute oft als Vorzeigeort dienen muss. Sie erzählt dort, dass sie an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien forscht und lehrt, und dass sie vor drei Jahren den Verein «Urban Human» gegründet hat. Der beschäftigt sich unter anderem mit der Gestaltung und der sozialen Dimension des öffentlichen Raums.

Wie können wir Städte – abgesehen von rein ökonomischen Kriterien – lebenswerter gestalten? Wie können wir mehr soziale Interaktion ermöglichen? So facettenreich die Lösungsvorschläge der Expertin für menschliches Verhalten sind, so deutlich ist ihre Warnung: Der derzeit angesagte Neoliberalismus schafft Ghettos, zerstört Gemeinschaft.

Elisabeth Oberzaucher selbst stammt aus keinem Ghetto, aus einem weniger urbanen Umfeld. Sie kommt aus dem österreichischen Süden, aus Kärnten. In Hermagor im Gailtal geboren, wächst sie in Greifenburg im Drautal auf. 1992 maturiert sie in Spittal an der Drau.

Ihr Vater, ein Berufsschullehrer, und ihre Mutter, eine gelernte Verkäuferin, erlauben ihr eine unbeschwerte Kindheit. Die Biologie interessiert sie schon von klein auf: «Meine Eltern und ein großartiger Biologie-Lehrer haben mein Interesse früh gefördert. So habe ich das Landläufige über Pflanzen und Tiere lange vor dem Studium gelernt.»

Nach der Matura geht sie für ein Jahr nach England, als Au-pair. Der Großraum London ist für sie mehr Zäsur als dann der Beginn ihres Studiums in Wien. Auch weil ihre um eineinhalb Jahre ältere Schwester bereits hier inskribiert ist. «Ich verstehe mich gut mit ihr, deshalb haben wir auch eine Schwestern-WG gebildet.»

Die Jüngere der beiden studiert zunächst das Verhalten der Tiere, ehe sie auf ein ganz spezielles Lebewesen der Evolution aufmerksam wird. Es ist dies am Beginn des 21. Jahrhunderts der «Homo urbanus», dem heute ihr großes Interesse gilt.

Als «Homo urbanus» zieht sie während ihres Studiums durch die Bezirke: vom siebenten zunächst in eine schöne Wohnung im verschlafenen Währing, von dort in den ärmsten, dafür hoch interessanten 15. Bezirk. Heute wohnt Elisabeth Oberzaucher in Ottakring, wenige Gehminuten vom Wienerwald entfernt. In den Cafés rund um den Brunnenmarkt fühlt sie sich zu Hause.

Den Bau von Smart und Slim Cities bewertet die Stadtforscherin dort hingegen weniger gut. «Das sind gefährliche soziale Experimente», konstatiert sie, und erzählt dann von ihrem Besuch in einer neuen slimen Wohnhaus-Anlage in der Seestadt Aspern. Das was vor dem Gebäude Frei- oder Grünfläche sein könnte, wurde allen Ernstes auf dem Asphalt markiert.

Mit der Vision vom Roten Wien, das nicht nur auf die Ränder der Stadt beschränkt blieb, hätten Smart & Slim herzlich wenig zu tun. Denn obwohl nach dem ersten und auch nach dem zweiten Krieg die finanziellen und auch die technischen Mittel an allen Ecken und Enden fehlten, gelang es, Wohnungen für Menschen und nicht für Investmentfonds zu bauen.

Potemkinsche Gärten in einer zügig hochgezogenen Trabantenstadt? Dass Elisabeth Oberzaucher skeptisch ist, hat wohl auch mit ihrem Blick über den Tellerrand der Stadt zu tun: Sie selbst verbringt nur die Hälfte des Jahres in Wien, die andere Hälfte in Flugzeugen und Zügen sowie bei Tagungen und Meetings in anderen Städten. Nebenbei wagt sie als Mitglied der «Science Busters» regelmäßig Ausflüge in die Populärwissenschaft.

Ihr Forschungsfokus bleibt aber weiterhin auf den «Homo urbanus» gerichtet, über den sie auch ein Buch geschrieben hat. Wie geht es diesem Stadtmenschen in Wien? Besser, als die große Fraktion der Grantelnden moniert, betont sie. Schlechter, als die PR-Phalanx im Rathaus behauptet.

Wird ihre Wissenschaftskarriere von Wien beeinflusst? Wahrscheinlich. Diese Stadt kann sie – wie gesagt – nicht schockieren. Nur die Winter im Donautal setzen ihr zu: «Vor allem das Grau und der Nebel. Es ist für mich kein Wunder, dass die Psychotherapie in dieser Stadt entscheidende Impulse erfahren hat.»

Was sie gut findet: «Dass sich die Wiener Verwaltung permanent selbst hinterfragt und überlegt, wie sie die Stadt besser gestalten kann. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass Wien die schnellst wachsende Stadt im deutschsprachigen Raum ist.»

Was sie weniger gut findet: «Dass zu wenige öffentliche und halböffentliche Räume geschaffen werden, die den Stadtmenschen Lebensqualität bieten. Dadurch generiert man soziale Pulverfässer.» Mehr unter: www.urbanhuman.eu.