«I just wanted to scream»Dichter Innenteil

Foto: Peter Korrak / Bearbeitung: Jella Jost

Wohnen im Alter, Teil 2 (Cherchez la Femme, November 2022)

Der internationale Popstar Sinéad O’Connor

Ich habe letzte Nacht nicht wirklich gut geschlafen, wachte gegen drei Uhr morgens auf, mit leicht beunruhigendem Gefühl, wusste genau, worauf sich das bezog. Die Nacht davor saß ich in der 13. Reihe fußfrei vor dem Screen des Filmcasino, in der Dokumentation Nothing Compares über die irische Sängerin Sinéad O’Connor, weit genug entfernt, um etwas Distanz bewahren zu können, innerlich und äußerlich. Das war schwerer als geahnt, hat doch das Leben von O’Connor – ich glaubte es kaum – einiges mit meinem gemein, an stimmlich-feministischer Potenz, Gewalterfahrungen in der Kindheit, leben in einer Gesellschaft mit strukturellem Frauenhass und einer Ungleichheit der Behandlung und Bezahlung von Frauen im Musikbusiness. Obgleich meine sogenannte Karriere auf recht bescheidener Basis stattfand im Gegensatz zum Superstar O’Connor. Und heute sage ich: Zum Glück!

Denn lasse ich die Dokumentation über Sinéad O’Connor Revue passieren, schlage ich meine Hände über dem Kopf zusammen und sage: Danke, Jella, danke, dass du kein Star werden wolltest, danke, dass dein Riecher richtig war, danke, dass du dich immer wieder geweigert hast, dich doch in patriarchale Strukturen zu begeben, danke, dass man dich in Innsbruck im legendären Treibhaus zwar gebucht hatte, aber keine Tickets verkauft wurden, weil keine Werbung gemacht wurde, weil die Agentur auf gut Deutsch Scheiße gebaut hatte, inkompetent war und weil die Tiroler:innen mit meinem Konzerttitel und dementsprechenden Plakat Yell! (Schrei!) einer Jella Jost nichts anzufangen wussten. Dass ich nach Deutschland gehen hätte sollen, Berlin lag nahe als Stadt meiner Mütter und Väter, wagte ich nicht zu denken, damals mit schon einem Kind und einem Partner, der selber Künstler und prekär lebend war. Ich wollte den Preis nicht zahlen. Mein Privatleben stand über allem.

 

Papstbild zerreißen

 

Sinéad O’Connor wurde 1966 in Dublin geboren. Sie hatte nie die Absicht ein Popstar zu werden, erzählt sie, doch ein Freund brachte ihr eines Tages eine Gitarre mit und Platten von Bob Dylan. Da, sagt sie, passierte etwas mit ihr. Sie fand ihr Ventil. Ihr Stil, ihre Art zu singen, erinnert mich an den Punk einer Björk, die Schreie, ihr Körpersound strömt tief aus dem Inneren ohne Blockaden, ohne vokale Zensur. Ich kenne selbst diese Momente auf Bühnen, es ist eine Gnade, ja man darf schon so sagen, ein Moment in dem man sich vergisst, alles aus einer rausströmt, Power, Liebe, Angst, Schmerz, Trauma, doch verwandelt man es in Musik, in Klang. Ich liebe Musik. Und wer denn nicht? Singen, das war für O’Connor Therapie. Sinéad erlebte als Kind Folter durch die eigene Mutter, wie sie es selbst bezeichnet. Das kleine Mädchen musste wochenlang Tag und Nacht in einem Verschlag im Garten wohnen, die Mutter ließ das Kind nicht mehr ins Haus, auch wenn Sinéad rief und bettelte. Später in der Pubertät kam sie in die Erziehungsanstalt Magdalenenheim, dort ging der Missbrauch weiter. Frauen wurden regelrecht aufbewahrt, erzählt O’Connor in der Doku, Frauen, die entweder schwanger waren, egal ob durch Vergewaltigungen, denn nach den ausgelegten Glaubensprinzipien im katholischen Irland der 70er-Jahre war das die Schuld der Frauen. Auch Frauen, die ein sogenanntes antisoziales Verhalten zeigten – also alle Frauen, die sich gegen die unmenschlichen Strukturen zur Wehr setzten –, beförderte man dorthin. O’Connor erzählt in der Doku von den alten Frauen, die im Waschraum lagen, die seit 24 Stunden nach Pflegerinnen schrien, aber niemand kam. Wozu benötigen wir eigentlich Horrorstorys? Seht, das Leben ist Horror genug. Alle diese Geschichten, die immer wieder ans Licht kommen, zeugen von Menschen, die seelisch krank sind, traumatisiert und so fragil. Damals gab es keine Psychotherapie für Frauen, sie wurden entweder «verrückt», begingen Suizid oder schluckten Tabletten, und weiterhin Gewalt. Das existiert auch heute noch. Die Frage ist immer die gleiche, wann wie und wo wird das aufgedeckt und was wird dagegen unternommen, wie zum Beispiel uneingeschränkte Psychotherapie für alle, die in Österreich gemeldet sind, als Kassenleistung. Das wäre ein moderner Weg in eine Gesellschaft, die ihre generationenübergreifenden tiefen Wunden und Gewalttaten behandelt, therapiert, im besten Fall stabilisiert oder gar heilt. Diese Gesellschaft wünsche ich mir. Als Sinéad O’Connor ein Bild des Papstes vor Millionen Zuseher:innen zerriss, war das die allernotwendigste Konsequenz ihres Lebens, inmitten des Albtraums einer kranken religiösen Gesellschaft. Im Kinosaal klatschten einige, als die Szene kam, in der das Papstbild zerrissen wurde. Aber hätten wir dabei nicht alle klatschen sollen?

 

Mein Bezug

 

Mit meinem persönlichen, künstlerischen Bezug zur Dokumentation bin ich mit Sicherheit nicht die Einzige in einer (feministischen) Kulturlandschaft, die derzeit um ihr Überleben kämpft. Viele bekannte Namen haben sich aus dem Kulturbetrieb gänzlich zurückgezogen. Viele dieser Namen finden nicht mehr jene Wertschätzung, mediale Präsenz und ökonomische Anerkennung, die ihnen zuteil hätte werden sollen. Als wichtige Wegbereiterinnen feministischer Kunst fehlen diese Künstlerinnen im historischen Blick zurück. Es entsteht ein Riss durch die uns so vertraute österreichische Missgunst, die jede tiefgehende Kreativität zu ersticken droht. Und Fernsehproduktionen werden mit derselben Mentalität besetzt wie vor 50 Jahren, es scheint, als ob man nichts Neues will, weil man auf Nummer sicher gehen muss. Unter diesen Umständen gleicht die derzeitige Kulturrückentwicklung mehr einem Sterben der freien Szene, die nie wirklich eine gewesen, außer in den 70er-Jahren unter Kreisky. Sinéad O’Connor erzählt: «Ich wollte eigentlich nur schreien und kein Popstar werden. Und nicht nur ich, so unfassbare viele Frauen erleben nach wie vor Gewalterfahrungen, sei es strukturell, sei es familiär, sei es indirekt, über Aussehen und Körper, das oft ständig, in der Schule, zuhause, auf Social Media. Aber die meisten dieser Frauen haben nicht die Möglichkeit, sich Hilfe zu holen oder Therapien zu bezahlen. Das macht mich so traurig.» O’Connor drückt das aus, was ihr als Frau angetan wurde, die Ungleichbehandlung, die in der Gesellschaft weiterhin stattfand, die nicht gesehen werden wollte und über die Hinweggesehen wurde – auf Kosten der Frauen. Sinéad O’Connor ist für viele nachfolgende Künstlerinnen ein Role Model schlechthin; in ihrer Intensität, Kompromisslosigkeit und Direktheit im Kampf für Frauenrechte, wobei sie relativ solitär dastand, denn im Irland der 80er und 90er gab es wenig Kampfgenossinnen. In den USA wurde sie zum Darling der Musikszene und des Publikums und gewann internationale Popularität durch den mit Prince produzierten Song «Nothing Compares 2 U». Ich habe ihn heute noch in den Ohren. Die Erb:innen von Prince haben übrigens untersagt, den Song in der Dokumentation spielen zu lassen.

 

Spiritualität als vibrierende Verbindung

 

Mutig und offen – bei diesem Thema so bedeutend – spricht sie über ihre mentale Erkrankung, Bipolarität, beklagt, wie psychische Erkrankungen immer noch mit einem Stigma behaftet sind. Nach der Schwere dieses Lebens tut es gut zu wissen, dass Sinéad O’Connor trotz aller außerordentlichen Schicksalsschläge ihren Weg wiedergefunden hat und weiter Musik schreibt und produziert. Für mich ist zwar schwer zu erfassen, warum sie Muslimin wurde, aber sie wird ihre Gründe, ihren Glauben, ihre tiefen Prägungen haben. Für mich ist Spiritualität niemals an Religion gebunden, aber viele Menschen brauchen Halt. Kein Wunder! Oft, aber nicht immer, findet man den in einer religiösen Gemeinde. Ich finde ihn in der Kunst, in der Musik, in der Poesie und in der Beziehung zu Menschen, die ich liebe. Spiritualität ist für mich die vibrierende Verbindung zu allem, was mich umgibt. O’Connor wollte man einst mundtot machen. Es ist nicht gelungen. Ihr Schaffen in der späteren Phase geht ein wenig unter in der Dokumentation. Das ist schade. Auch die Themen psychiatrische Erkrankungen bei Frauen und der mediale Umgang damit sowie ihre direkte Kritik an der Musikindustrie, die fest in Männerhänden liegt. Dafür wäre mehr Raum notwendig gewesen. Für die irische Regisseurin der Dokumentation, Kathryn Ferguson, war O’Connor eine Ikone ihrer Jugend. Sie produzierte den Film, weil sie nicht verstand, wieso O’Connor dermaßen schlecht behandelt wurde. Auf diese Weise hat sie ihrem Idol bedeutenden Raum geschaffen. Solche Frauen, solche Filme brauchen wir. Zum Abschluss ein paar Filme von Frauen über Frauen: Alice Schwarzer von Sabine Derflinger, Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen von Claudia Müller, Sonne von Kurdwin Ayub, Hive von Blerta Basholli.