Kampf dem QualitätsjournalismusAllgemein

Rauschers "Wir" und Szemelikers "Alle"

Wenn ich an Samstagen den Standard aus einer öffentliche Tasche fladere, und wenn ich dann auch noch Zeit habe, ihn durchzulesen, durchzuckt mich jedes Mal ein wie von Karl Kraus gesandter Imperativ: Kontrolliert die MeinungsmacherInnen! An Ideen dazu mangelt’s ja nicht: wir könnten diesen Blog als Raum für Medienbeobachtung und für die Auseinandersetzung mit den alltäglichen Lügen der Medien nutzen; wir könnten eine ständige Rubrik im Augustin einrichten etc.Doch wer hätte die Kapazität, um so etwas intensiv und kontinuierlich zu betreuen?

Wie Karl Kraus an die Angelegenheit heranging, hat Richard Schuberth für den Augustin in seiner monumentalen, vielteiligen Annäherung an Kraus beschrieben:

Dass Karl Kraus in der Journaille“, wie er das journalistische Gewerbe nannte, seinen Hauptfeind bekämpfte, ist beinahe eine Untertreibung. Mehr noch war die 1899 gegründete Fackel die unversöhnliche Antithese zur Presse schlechthin, in ihrem Titel schon leuchtet die Doppelbedeutung von Erhellung und Brandlegung auf, jener Produktivkraft schöpferischer Zerstörarbeit“, deren deklariertes Ziel die Trockenlegung des weiten Phrasensumpfes“ war.

Karl Kraus kannte die Produktionsbedingungen des bürgerlichen Journalismus gut genug, schrieb er doch seit 1892 selbst für die damals wichtigste meinungsbildende Kraft Mitteleuropas, die Neue Freie Presse“ sowie in der Wochenschrift Die Wage“. Als das Gerücht, der begabte junge Autor wolle eine eigene Zeitschrift gründen, auch in die Redaktion der Neuen Freien Presse“ drang, wollte die ihn als Redakteur an sich binden. Karl Kraus Selbstbewusstsein war indessen stark genug für die Gewissheit, dass er nicht reif für die NFP“ sei, sondern diese reif für ihn. Er gründete 1899 die Fackel“ und formulierte bereits in der Nullnummer sein Programm: kein tönendes Was wir bringen, aber ein ehrliches Was wir umbringen hat sie sich als Leitwort gewählt.“

Kraus Kampf gegen den Journalismus ist ein vielschichtiges Unternehmen und es bedarf profunden Studiums, bis sich einem die disparaten Elemente seiner Kritik als schlüssiges Ganzes offenbaren. Seine Pressekritik beherbergt sprach- und moralkritische, politische, ökonomische und medienphilosophische Aspekte. Diese aber sind so klug ineinander verzahnt, dass jeder Versuch ihrer analytischen Trennung von ihrem Verständnis wegführt.

Lebte Kraus heute, würde er Revolverblätter wie die Kronenzeitung oder Österreich rechts liegen lassen und sich die so genannten Qualitätszeitungen vornehmen. In Kraus‘ Sinne würde ich mich vor allem auf den Standard konzentrieren, weil er sich selbst als das liberalste aller österreichischen Medien wahrnimmt und einem Pluralismus der Meinungen huldigt.

Es gibt aber einen Pluralismus innerhalb des Mainstreams und einen Pluralismus, der neben dem Mainstream die Gegenströmungen akzeptiert, indem er ihnen Ausdrucksmöglichkeiten bietet. Standard-Pluralismus ist Pluralismus der erstgenannten Art, wie ein Blick in die Ausgabe vom 22. März 2008 (erraten, es ist eine samstägliche Gratisausgabe) gleich erkennen lässt. Hans Rauscher kommentiert den Konflikt zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen von Moschee-Neubauten in Österreich.

Die Wahrheit ist“, schreibt Hans Rauscher, früher Kurier-Chefredakteur, heute Chefkolumnist des Standard“, dass nicht nur manche FunktionärInnen, sondern auch normale muslimische Gläubige eine andere Vorstellung von einer modernen Gesellschaft haben als wir.“ Wer ist denn dieses WIR? Rauscher möge sich hüten, mich zu subsumieren. Und wer ist das WIR der Anderen, dem das WIR der Unsrigen unsere angeblich so gemeinsamen Vorstellungen von einer modernen Welt entgegenhalten muss? Ich kenne muslimische Frauen, die aktiv für Gleichberechtigung der Geschlechter kämpfen, und ich kenne das Dogma der westlichen“ katholischen Kirche, dass die Frau ein Mensch zweiter Klasse ist (andernfalls dürfte sie Priesterin, sogar Päpstin werden). Mit dem Vatikan als dem Ideal-Biotop für keusche Homosexuelle, als einem frauenlosen Terrarium, ist ein uralter religiöser Menschheitsirrtum zu seinem krönenden Abschluss gelangt“, sagte die kritische Theologin Ute Ranke-Heinemann (übrigens in einem Standard“-Interview; ich unterschätze nicht die informativen Aspekte des Standard“-Journalismus). Ich wehre mich, von Rauscher mit diesem Biotop zusammen in seinen großen WIR-Topf geworfen zu werden. Die anständigen abendländischen BürgerInnen, die in den vergangenen Monaten so leidenschaftlich gegen eine Brigittenauer Moschee auf die Barrikaden stiegen, haben in gewisser Weise eine ähnliche Vorstellung von einer modernen Gesellschaft wie konservative MuslimInnen: nämlich die Idee, dass eine Leitkultur anerkannt werden müsse was auf die Forderung nach Assimilation der Minderheiten hinausläuft.

Wir sollten dem Islam immer klarmachen, schreibt Rauscher, dass Freiheit der Religionsausübung und Moscheenbau nicht bedeutet, auch Monumente religiöser Starrheit und Intoleranz zu errichten. Hat der Kulturkämpfer Rauscher je bei einer Einweihung eines neuen katholischen Gotteshauses die Frage gestellt, ob es vom Geist der Starrheit und der Intoleranz befreit sein werde? Ins Anarchistische gewendet müsste die Frage an Rauscher lauten, wieso er dann nicht die Demontage des Vatikanstaats fordere, bekanntlich des mächtigsten Museums der Starrheit und Intoleranz der westlichen Welt …

Ein weiteres Beispiel für den Pluralismus des Standard, aus derselben Ausgabe. Wirtschaftsredakteur L. Szemeliker untersucht, inwieweit sich die internationale Finanzkrise auf die österreichische Wirtschaft auswirken könne. Und er kann die LeserInnen beruhigen: Österreich kommt glimpflich davon. Diese Gewissheit habe er sich nicht aus seinen Fingern gezuzelt, sondern er habe Experten konsultiert, und zwar Ökonomen a l l e r Denkrichtungen, die im Wesentlichen zum gleichen Schluss kommen, nämlich zu einem, der den Titel … kommt glimpflich davon“ legitimiere.

Alle Denkrichtungen“ kommen nun zu Wort, freuen sich die kritischen LeserInnen doch was wird ihnen geboten? Die oberflächlichen Statements des Ökonomen Ulrich Schuh vom Institut für Höhere Studien, des Ökonomen Alois Guger vom Wiener Wirtschaftsförderungsinstitut und des Ökonomen Stefan Bruckbauer von der Bank Austria. Drei im Strom der neoliberalistischen Globalisierung schwimmende Volkswirte der Staatsräson repräsentieren laut Standard das gesamte Spektrum der ökonomischen Denkrichtungen, als ob kapitalismuskritische oder auch (neo)marxistische Konzepte der politischen Ökonomie nicht existierten. Entsprechend kompetent fällt die Analyse aus, zu der das naive Bild von Österreich als heile Insel im auf den Crash wartenden Finanzozean gehört.

Dass im Standard“ gelegentlich auch ÖkonomInnen tatsächlich alternativer Denkrichtungen zu Wort kommen, macht eine konkrete Lüge oder milder ausgedrückt jenen konkreten Fall journalistischer Ignoranz nicht tolerierbarer: nämlich dass IHS, WIFI und Bank Austria den gesamten Bogen ökonomischen Denkens repräsentierten. Merkurseidank (Merkur = Gott der Händler und des Finanzkapitals) gibt es andere TextarbeiterInnen, die die aktuelle globale Finanzkrise vor allem deshalb journalistisch spannend finden, weil sie ökonomische Denkrichtungen ins Spiel bringt, die der neoliberale Triumphzug vermeintlich schon überrollt hatte. Selbst Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank, machte mit der Bemerkung auf sich aufmerksam, er glaube nicht mehr so recht an die Selbstheilungskräfte des Marktes, der Staat müsse wohl oder übel ran, damit ein Ausweg aus der Krise denkbar sei. Allen neoliberalen Glaubensrichtungen zum Trotz schreien die betroffenen BankerInnen und SpekulantInnen nach Staatshilfe. Der Staat solle gefälligst mit Steuergeldern für die Milliardenverluste der Banken aufkommen.

Was darauf hindeutet, dass die Schulen, die uns L. Szemeliker als repräsentativ für das ökonomische Denken der heutigen Zeit verkaufen will, mit ihrem Latein am Ende sind, und dass es Denksysteme außerhalb des Szemeliker bekannten Spektrums braucht, um das Wesen und die Nachhaltigkeit der gegenwärtigen Finanzkrise zu verstehen und die Gesellschaften handlungsfähig zu machen.