Serengeti für null Centstun & lassen

Anton Klein, Ex-Kieberer und Lobaumuseumsdirektor, mag Gelsen eigentlich

Was hat die alte Vervielfältigungsmaschine, in den siebziger Jahren um 4.000 Schilling gekauft, mit der Lobau zu tun? Und der Film „Serengeti darf nicht sterben“? Und die geschlagenen Hussiten? Und der verschollene Hundsfisch? Und der begnadigte „Wilde“? Und die „Franzosenkugeln“, die entweder für Franzosen gedacht waren oder von Franzosen verschossen wurden? Und der brasilianische Bischof und Befreiungstheologe Kräutler? Und der Plakatspruch „Krumm ist gottgewollt, Gerades Teufelswerk?“ Und der Qualtinger?Das alles hat sehr viel mit dem Leben des vor 81 Jahren geborenen Wiener Originals Anton Klein zu tun. Und mit seinem Anfang der 70er Jahre gegründeten Lobaumuseum – das selbst von vielen bekennenden Lobauanhängern (die aber über die Dechantlacke nie hinauskommen) noch nie besucht wurde. Was wunderlich ist, andererseits aber überhaupt kein Wunder.

Wunderlich: Das Lobaumuseum befindet sich in der Oberen, also wiennahen Lobau und ist von Busstationen aus – 26A bis Kirschenallee, 91A bis Panozzalacke – unkompliziert zu Fuß und mit Rad erreichbar. Überhaupt kein Wunder: Die Öffentlichkeitsarbeit der Nationalparkverwaltung hält sich mit der Werbung fürs Lobaumuseum, das aus ihrer Sicht ebenso unprofessionell wie antipädagogisch, eklektisch, eklatant unelegant ist und zwischen Naturwissenschaft und missionarischer Pathetik oszilliert, zurück. Zumal ja bald unweit von dieser Stätte das moderne Nationalparkszentrum zur Verfügung stehen wird.

Unsereinem gefällt die fast trotzige Antiquiertheit der chaotischen Sammlung, die Überladenheit, die all jene schätzen, die nur in Museen dieses Typs, im Graubereich zwischen öffentlich und privat, immer aufs Neue auf Überraschungen stoßen, die sie die halbes Dutzend Museumsbesuche zuvor im verrückten Wirrwarr glatt übersehen haben. Unsereiner ist von der Dauerausstellung, die im Gebäude einer ehemaligen Land- und Forstarbeiterunterkunft zu sehen ist, vor allem deshalb angetan, weil sie ebenso viel über den Ausstellungsmacher verrät wie über die eigentlichen Themen: Geschichte der Lobau, Ökologie der Lobau, Zukunft der Lobau (die nur denkbar als Teil der Zukunft des Planeten ist).

Die Fragen der Einleitung wollen beantwortet sein. Also der Reihe nach.

Die Vervielfältigungsmaschine, Vorläuferin des Copyshops, brauchte Anton Klein für die Herstellung von Flugblättern und Unterschriftenlisten. Noch in den frühen 70er Jahren waren sich die Führungen der Großparteien einig, dass die Lobau eines der künftigen Industriegebiete der österreichischen Hauptstadt sein werde. An eine Ansiedlung der Erdölindustrie und ihrer Zubringerfirmen war gedacht. Niemand sprach noch von Nationalpark. Herr Klein begann, die Lobaurettung als Lebensaufgabe zu begreifen. Würden Sie sich als Pionier der LobaukämpferInnen bezeichnen?, fragt der Augustin. „Am Anfang war der Klein“, antwortet Klein. „Ich belaste mein Gewissen keinesfalls, wenn ich das so selbstsicher sage. In der Donaustädter Bezirkszeitung wurde ich zu einem Verrückten gemacht, dem die Gelsen wichtiger seien als die Arbeitsplätze.“

Die Erklärung der Lobau zum Nationalpark war für den Querkopf kein Grund, den Kampf zu beenden. Heute geht es z. B. gegen die geplante Autobahntrasse unter der Lobau. Und um mehr Wasser: „Genau genommen ist die Lobau kein Augebiet mehr. Vielmehr wird sie allmählich zu einem ganz normalen Wald. Als Au ist sie ein sehr pflegebedürftiger Patient, dem der Rhythmus der Überflutungen fehlt. Man hätte statt dem Bau der Donauinsel sich mit der Lobau beschäftigen, sie in ein wirkliches Augebiet zurückverwandeln sollen. Das wäre die intelligente Form des Hochwasserschutzes gewesen.“

Der Herr Museumsdirektor kritisiert auch ein Zuviel an touristischer Aktivität: „Ruhezonen abseits der Wege sind notwendig. Ich bin entsetzt, wie viele Rad- und Fußwege die Nationalparkverwaltung durch die Lobau zieht.“

Bernhard Grzimek setzte sich an Kleins Seite für die Au ein

„Serengeti darf nicht sterben“ – die Fragen von oben suchen weiter nach Antworten – war der erste deutsche Film, der einen Oscar bekam. Der Zoodirektor und Afrikareisende Bernhard Grzimek leitete mit diesem Streifen über die Gefährdung der Lebensräume der Tiere von Serengeti einen gesellschaftlichen Gesinnungswechsel ein. „In der Urania ist der Film mehr als drei Jahre lang gezeigt worden, er war immer ausverkauft“, erinnert sich Klein. Am Ende der 60er Jahre war das Publikum wie „umgedreht“, Grzimeks Doku hatte dazu einen Beitrag geleistet. Lobaukämpfer Klein gelang es, sein prominentes deutsches Idol, Bernhard Grzimek persönlich, in die Reihe der sich zur Rettung der Lobau „einmischenden“ Promis einzubeziehen.

Die geschlagenen Hussiten flüchteten in die Lobau, um hier eine Republik der verlorenen Sache zu bilden: Anton Klein nennt diese antikatholischen Streiter als frühe Beispiele der Aneignung des Dschungels zwischen den Donauarmen durch Verfolgte, Unerwünschte und Aussteiger. „Der Wilde“, ein Langhaariger, der im Lobaumuseum mit einem Arm einen Kormoran hält, an der anderen den Fischotter, wurde 1848 zum Tode verurteilt, konnte flüchten und lebte weiter als schließlich begnadigter „Waldmensch“. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzten Obdach- und Arbeitslose Flächen der Lobau. Deren Erwähnung und vieles mehr zum Thema sozialen Ausstiegs weist den Naturapostel als Kritiker sozialer Verhältnisse aus, nicht abgeneigt, sein vordergründig naturkundliches Museum auch als Raum der Politisierung zu „missbrauchen“.

Sinngemäß Qualtinger zitierend („Ich brauch kan Großglockner, wenn ich das Überschwemmungsgebiet hab“), wendet sich Klein im „Augustin“-Gespräch jener Sache zu, für die der „Augustin“ steht, wie er meint. Unser Hero des Monats möchte die Anstrengung der Erhaltung der Lobau nicht von der sozialpolitischen Anstrengung getrennt wissen, bei aller Dominanz ökologischer Fragestellungen in unserem Gespräch. Als Naherholungsgebiet der Großstadt sei die Lobau für die sozial Schwächsten der Stadt eine wichtige Kompensation der Chancen der Reichen, in jeder Entfernung der Welt Ruhe und Entspannung zu finden. „Das hat auch der Kreisky begriffen, dem ich einen Brief geschrieben habe. Sozial ist nicht, ausgerechnet die Lobau in ein Betriebsansiedlungsgebiet zu verwandeln, sondern es als Erholungsgebiet für die untersten Schichten zu bewahren“, konzediert Anton Klein kanzlerische Lernfähigkeit. Der brasilianische Bischof Kräutler, der im ersten Erstaunen weit hergeholt und willkürlich in die Ausstellung geraten zu sein scheint, symbolisiert, wie für die BesucherInnen bald zu begreifen ist, die Verbindung zwischen Naturschutz und sozialem Anliegen. Zwischen diesen Funktionen mäandriert die Dauerausstellung, genauso wie die Ex-Donau mäandrierte, bevor der Begradigungsterror über sie kam. „Krumm ist gottgewollt, Gerades Teufelswerk“: Kleins historischer Lieblingsaphorismus hängt an einer Wand wie eines der frommen Sprüche der allen ÖsterreicherInnen vertrauten missionarischen Wandbotschaften. Für null Cents könne man sich hier das Wissen aneignen, das die Menschheit brauche, um zu überleben, lobt der Museumsleiter sein Museum.

Der Hundsfisch und die Franzosenkugeln

In einem der Räume schweigen die lebendigen Hundsfische mit den toten „Franzosenkugeln“ um die Wette. Die Hundsfische stehlen den Kugeln natürlich die Show, galten sie doch als ausgestorben, bevor sie vor vierzehn Jahren in den Rest-Sumpfgewässern der Lobau wiederentdeckt wurden. Anton Klein erhebt keinen Einwand, wenn ihn jemand als Vater der Hundsfische würdigt. Er hat mittlerweile Tausende Jungfische dieser raren Art in seinen naturbelassenen Aquarien gezüchtet und ausgesetzt. Die „Franzosenkugeln“ geben weniger Rätsel auf, es sei denn, es ist für irgendwen von Interesse, aus welchen Gewehren sie gefeuert wurden. Jedenfalls sind sie Hinterlassenschaften des von Napoleon gewonnenen Krieges, der in der Lobau und ihrer unmittelbaren Umgebung wütete. Viele Abbildungen geben Auskunft über die Technik des Krieges, während Anton Klein sich die Gelegenheit entgehen ließ, der patriotischen Geschichtsschreibung, bis heute pflichtschulobligat, eins auszuwischen. Der österreichische Trick, den Krieg, der von Mai bis Juli 1809 vor den nordöstlichen Grenzen Wiens tobte, in die „Schlacht von Aspern“ und die „Schlacht von Wagram“ aufzuteilen, schuf das Wunder des ersten „Erfolgs“ gegenüber den französischen Truppen, der in Wahrheit höchstens ein Teilerfolg im Rahmen einer für Österreichs Führung katastrophal endenden Monsterschlacht war.

Da der Aufbau des Lobaumuseums Kleins persönliches Werk war (dessen Zukunft über den Tod seines Begründers hinaus nicht gesichert ist), sind Kleins lebensanschauliche Positionen in die Ausstellungswände eingegangen. Der ganze Anton Klein ist daraus nicht zu lesen. Der lange Klein (einsneunzig nach eigenen Angaben) sei nicht leicht in teamförmige Beziehungen zu integrieren, hören wir von anderen LobauaktivistInnen. Manche werfen dem Betreiber des Lobaumuseums vor, er höre sich lieber selber beim Reden zu als anderen. Wir vom Augustin haben ihm jedenfalls gerne zugehört, denn vieles war neu, was wir erfuhren. Einen Moment lang schlich sich in uns der Gedanke ein, dass Anton Klein die Menschen nicht ganz auf unsere Weise liebt. Es war der Moment, in dem wir ihn über die Gelsen befragten.

Die Gelsen seien harmloser, als man denke, antwortete der rüstige Pensionist: „Wenn die Sonne scheint, sind sie weg, und wenn der Wind weht, sind sie auch weg. Die Nacht gehört ohnehin dem Tierreich. Wenn man von hinten bis vorne zerstochen wird, ist das ein Zeichen dafür, dass man bereits zu weit ins Reich der Tiere und Pflanzen eingedrungen ist – man wird also mit vollem Recht von den Gelsen zerstochen.“

Ich schlage mit vollem Recht zurück, mit meiner flachen Hand. Das will ich an dieser Stelle deponieren.

Lobaumuseum

Lobau 256, Vorwerk 1

1220 Wien

Kontakt: Anton Klein, (0 22 14) 35 71

Öffnungszeiten: Führungen Sonn- und Feiertag, 13 bis 17 Uhr, und gegen Voranmeldung. Anwesenheitsdienst durch Mitarbeiter der Forstverwaltung: Mi., 9-12 Uhr, Mo., Di., Do., Fr., 13-15.30 Uhr