«Verdingkind»Artistin

Graphic Novel

Das veraltete Verb «sich verdingen» verrät einiges von dem Arbeitsverhältnis, in das man sich dabei begibt. Noch unverblümter ist der Ausdruck «Verdingkind». Dabei wird ein Kind als Arbeitskraft auf Zeit verkauft, durchaus im Sinne des philosophischen Begriffs der «Verdinglichung». Dass ­diese Form der Versklavung in unseren Breitengraden noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitet war, ist kaum bekannt. Die Schweizer Künstlerin Lika Nüssli hat die Geschichte ihres ­Vaters aufgezeichnet: Vier Jahre lang haben ­seine Eltern den Buben für einen Franken pro Tag an ­einen fremden Bauern vergeben. Anstrengende Arbeit, wenig zu essen und Prügel. Und noch eine Ausbeutung gab es da, die Ernst jedoch nur seiner Schwester anvertraute.
Nüssli zeichnet stilisiert einfach und ­verwendet Ausdrucksmittel der Senntumsmalerei, die sich im 19. Jahrhundert in der Region ihres Vaters als bäuer­liche Laienkunst entwickelt hat. Doch immer wieder dehnen sich ihre Zeichnungen zu surrealen Landschaften oder Traumbildern mit riesigen Eutern und Kuhaugen aus, die sich über die großformatigen Doppelseiten erstrecken. Eine künstlerisch spannende Annäherung an die ­Geschichte ihres Vaters.

Lika Nüssli: Starkes Ding
Edition Moderne 2022, 232 Seiten
29 Euro