120 Euro statt 14,30 Euro kostet der Aufenthaltstitel «Daueraufenthalt-EU» seit Jahresbeginn 2020.
Betroffene wurden erst ein Jahr später darüber informiert.
Text: Hannes Greß
Seit 1989 wohnt der in Nordmazedonien geborene Emre (Name v. d. Red. geändert) in Österreich. Trotz dauerhaftem Aufenthaltsrecht muss er seinen Aufenthaltstitel alle fünf Jahre verlängern. Eine aufwendige, aber notwendige Prozedur, die mit allerlei Papierkram verbunden ist und für gewöhnlich 14,30 Euro kostet. Emre, der eine Autowerkstatt in Wien-Ottakring betreibt, kennt das Prozedere, erledigte die Verlängerung auch vergangenes Jahr pünktlich – und bekam ein Jahr später die Aufforderung für eine Nachzahlung von 105,70 Euro.
Bei der Neuausstellung des Aufenthaltstitels «Daueraufenthalt-EU» «wurde von der Behörde festgestellt, dass damals ein zu geringer Betrag verrechnet wurde», heißt es in der Zahlungsaufforderung. Gezahlt hatte Emre vorschriftsgemäß im Februar 2020, von der Gebührenerhöhung, die mit 1. Jänner 2020 in Kraft trat, wussten weder er noch die zuständige Bezirkshauptmannschaft Tulln etwas. Letztere wurde erst im August über die Gebührenerhöhung von 14,30 auf 120 Euro informiert – und forderte Emre im März 2021, also über ein Jahr später auf, den Differenzbetrag innerhalb von 14 Tagen nachzuzahlen. Ansonsten drohe eine Gebührenerhöhung von weiteren 50 Prozent.
Kein Tullner Problem.
In der Bezirkshauptmannschaft Tulln kennt man das Problem, möchte sich aber auf Nachfrage nicht weiter dazu äußern. Schließlich sei das kein Tulln-spezifisches Problem, sondern betreffe sämtliche Bezirkshauptmannschaften und Magistratsabteilungen in Österreich. Nicht zuletzt hatte Emre mehrmals in der Bezirkshauptmannschaft angerufen, diese hatte ihn an das Finanzministerium verwiesen – welches ihm bis heute eine Antwort schuldig bleibt, wie er sagt. Vielen in seinem Bekanntenkreis sei es ähnlich ergangen.
Auch in der Magistratsabteilung 35 in Wien will man sich mangels Zuständigkeit nicht dazu äußern. Aber um die Anfragen von Betroffenen bearbeiten zu können, «wurde eigens dafür ein kleines Team in der MA 35 gebildet», teilt eine Sprecherin mit. Die relevanten Paragrafen für diese Causa finden sich im Gebührengesetz 1957, das neben Gebühren für einen Stempel, für amtliche Abschriften und für die Ausstellung eines Leichenpasses unter § 14 auch festhält, wie viel für die Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu bezahlen ist. Die Anhebung der Gebühr für den Aufenthaltstitel «Daueraufenthalt-EU» von 14,30 auf 120 Euro rechtfertigt das zuständige Bundesfinanzministerium auf Nachfrage mit Verweis auf die «Kostendeckung für den Verwaltungsaufwand». Um welchen Verwaltungsaufwand es sich hierbei handle, könne man «mangels Zuständigkeit» nicht beantworten. Aus dem Innenministerium ist zu erfahren, dass man die Gebühren für die Neuausstellung lediglich an andere Aufenthaltstitel angepasst habe.
Den Vorwurf, man habe Bezirkshauptmannschaften und Magistrate über die Gebührenerhöhung zu spät informiert, will man im Finanzministerium so jedoch nicht gelten lassen. Sämtliche Gesetze werden über das Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlicht, die zuständigen Behörden darüber zu informieren, sei nicht Aufgabe des Finanzministeriums.
Verschwitzt und unschön.
Nachfrage im Innenministerium: Hier seien «unmittelbar nach Bekanntwerden der Änderung Anfang August 2020 die erforderlichen Schritte gesetzt» worden. Wieso wird eine Gebührenerhöhung mit 1. Jänner beschlossen, und erst im August 2020 werden «die erforderlichen Schritte» gesetzt? Auf Nachfrage übermittelt man einen unkommentierten Link zur Parlamentsseite Wie Gesetze entstehen. Ergiebiger ist eine Nachfrage bei Peter Marhold, Obmann der Rechtsberatungs-NGO Helping Hands in Wien. Er hat eine relativ simple Antwort parat: Wahrscheinlich habe man die Gebührenerhöhung in den zuständigen Behörden einfach «übersehen oder verschwitzt», erklärt Marhold. Abseits der prinzipiellen Frage, ob es legitim sei, für die Neuausstellung eines Aufenthaltstitels Gebühren zu erheben, sei eine derart drastische Erhöhung zwar «unschön», aber wohl «noch im gesetzgeberischen Rahmen». Auch die Aufforderung zur Nachzahlung über ein Jahr später sei legitim, da Betroffenen dadurch kein Schaden entstehe.
Emre hat die ausstehenden 105 Euro letztlich überwiesen. Genervt ist er trotzdem: «Mir geht’s um Prinzip», beklagt er: «Wenn ich beim Bäcker ums Eck Semmeln kaufe und der einige Monate später feststellt, dass er mir die Semmeln zu billig verkauft hat, kann er auch keine Nachzahlung von mir einfordern.»
Foto: helping hands