Augustin 535
Fluchtbewegungen
Die Ehre des österreichischen Dorfes. Falls es so etwas überhaupt gibt, wurde sie 2015 gerettet – von der Bevölkerung in den burgenländischen Siedlungen, die das Selbstverständlichste vollbrachten: Die Leute aus diesen Dörfern, voran die Schüler_innen, hatten alles gesammelt, was sie für die kommenden Wochen der weiteren Flucht für nützlich hielten. Wir können Gnade walten lassen und die Politiker_innen, die heute warnen: «2015 darf sich nicht wiederholen», um eine präzisere Formulierung ihres Alarms ersuchen. Meinen sie etwa, die solidarische Unterstützung der Ankömmlinge aus den Balkanrouten müsste bei der nächsten Fluchtwelle besser organisiert werden? Auch, um Missverständnisse («Schau, die haben alle ein Smartphone!») aufzuklären.
Wer von den Flüchtenden keines hat, soll vom Gastgeberstaat eines geschenkt bekommen. Ich spüre förmlich die Vibration der inneren Aufschreie, hervorgerufen durch einen unerhörten Wunsch. Er ist vermeintlich umso größenwahnsinniger, als heute – wie Ruth Weismann in dieser Ausgabe (S. 10) erinnert – bereits 44.000 Afghan_innen in Österreich leben. In keiner Fluchtbewegung herrschen derart zersplitterte, über die ganze Welt verstreute Familien vor. Unendlich mehr geben die reichen Staaten aus, um die Autoindustrie zu retten, sodass es mir wenig vermessen erscheint, jedem und jeder Geflohenen gleich ein Lastenfahrrad dazuzuschenken.
Handy und Radl sind Bestandteile der institutionalisierten Symbole der Willkommensrituale, die neuerdings meine Träume und Visionen bevölkern. Der österreichische Staat und seine Zivilgesellschaft, aufgewacht und geschockt über den Nord-Egoismus, müssen das dem Volk bei Strafe der Abwahl der parlamentsrelevanten Kräfte verklickern. Wie anders könnte ein reiches Land den Umstand kompensieren, dass mit staatlicher Hilfe in der Türkei 4 Millionen, im Iran 800.000, in Afghanistan (Binnenmigration) 3,5 Millionen, in Pakistan 3,3 Millionen und in Tadschikistan 100.000 Refugees wohnen?