Augustin 585
Füreinander da sein
Schon lange beschäftigt mich die Frage, was Ehrenamt von Aktivismus unterscheidet. Ich versuche mich in einer Antwort, frei nach der Definition des US-amerikanischen Autors Noam Chomsky: Ein:e Aktivist:in beurteilt und bewertet, überzeugt und organisiert, ohne die Intention Macht zu ergreifen, mit dem Ziel, das gegebene System zu verändern. Ehrenamtliche streben keine Veränderungen an, zumindest nicht aktiv, sie helfen, sie bewegen sich innerhalb des Systems. Klingt Ehrenamt weniger lobenswert als Aktivismus und nicht nachhaltig? Keinesfalls. Anderen unentgeltlich zu helfen, über den eigenen Vorteil hinaus zu denken und zu handeln, ganz unabhängig davon, ob sich das Engagement an Menschen richtet, die man kennt oder nicht, ist eine Solidarität, die ganze Lebensbereiche der Gesellschaft am Laufen hält.
3,5 Millionen Menschen leisten über 24 Millionen Stunden in Österreich wöchentlich für die Gemeinschaft – freiwillig und unbezahlt – vorwiegend in Bereichen, in denen es um Leben und Tod geht. Feuerwehr, Rettung, Katastrophenschutz. Beeindruckende Zahlen! Grund genug, um dem Thema eine Coverstory zu widmen, für die sich Christof Mackinger (Text) und Carolina Frank (Foto) auf die Suche nach freiwilligen Helfer:innen und ihren Beweggründen gemacht haben, auch im Augustin-Vertrieb wurden sie fündig (S. 6).
In der Flüchtlingshilfe gehen Freiwilligenarbeit und Aktivismus oftmals Hand in Hand. Gerade hier wird jedoch der lange Atem von Engagierten immer wieder auf die harte Probe gestellt. Mit Bedauern haben wir an dieser Stelle eine schlechte Nachricht für Sie: Ende Oktober wurde der Augustin-Verkäufer Abuchi O. – allen Bemühungen zum Trotz – überraschend nach Nigeria abgeschoben (S. 13). Dass er in Lagos empfangen wurde, eine Übergangswohnung und Startgeld zur Verfügung bekommen könnte, ist vielen Engagierten, Aktivist:innen und Spender:innen zu verdanken. In diesem Sinne, trotz Trauer und Wut, die gute Nachricht: Möge das System dermaßen unsolidarisch sein, wir Menschen sind das nicht.
TEXT: SÓNIA MELO
COVERFOTO: CAROLINA FRANK