Augustin 589
Alles umsonst?
Neues Jahr, leeres Konto. Das Weihnachtsgeld ist genauso passé wie Weihnachten, der nächste Lohn muss noch verdient werden. Die Tage bis zur Auszahlung gezählt, die Einschätzungen für Essenseinkauf im Kopf berechnet. Unter dem Strich: Konto im Minus, Migräne im Kopf. Dabei gehöre ich zu den «Privilegierten»: Ich kann von der Erwerbsarbeit gut leben, auf Erspartes zugreifen, wohne warm und zentral und habe mit der Sonderzahlung eine Menge an Sonder-Nutzlosem erworben. Gewissensberuhigung: einiges davon (weiter)verschenkt!
Die sogenannte Umsonstökonomie, im Alltag vielerorts bereits Praxis, ist für mich eine tolle Sache: Ich tausche Kleidung, Bücher und mich stolz mit Freund:innen darüber aus, wie viele Dinge ich umsonst bekomme, tausche und weiterschenke. Wer hingegen auf Kostenloses angewiesen ist, gibt es nicht gerne zu. Für die Bebilderung der Coverstory (S. 6 – 8) von Christof Mackinger (Text) und Jana Madzigon (Foto), bei der es just um Fundsachen im öffentlichen Raum geht, ging ich die Treppen hinunter in den Augustin-Vertrieb auf der Suche nach Verkäufer:innen, die vor der Kamera mit Gefundenem und Geschenktem stehen würden. Für die meisten war alleine die Frage schon unangenehm, damit fotografiert zu werden ausgeschlossen. Wie weit «brauchen» von «dürfen» liegt? Hier nur ein Stockwerk entfernt.
Hätten wir ein solidarisches Wirtschaftssystem, basierend auf einer Ökonomie des Gemeinsamen statt des Privaten, das niemanden ausschließt, würden sich Menschen nicht schämen, mit ihren Fundsachen fotografiert zu werden. Wirtschaft und Arbeit würden nicht erst dann zählen, wenn mit Geld in Verbindung gebracht.
Auch den Augustin gibt’s im öffentlichen Raum, aber weder gratis noch umsonst. Denn mit dem Kauf dieser Zeitung ermöglichen Sie über 400 Menschen ein Einkommen in Würde. Dafür bekommen Sie, liebe:r Leser:in, nicht nur ein gutes Gewissen, sondern vor allem Qualitätsjournalismus. Lesen Sie selbst! Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre und ein wunderbares 2024.
Text: Sónia Melo
Coverfoto: Jana Madzigon