Zwischen den ZeilenArtistin

Bianca & Katja, Buchhändlerinnen O-Books

Wenn James Joyce Recht hat und das Leben tatsächlich zu kurz für schlechte Bücher ist, dann ist eine Buchhandlung mit Haltung der richtige Weg zum Ziel. Ein Streifzug durch drei Buchhandlungen in drei verschiedenen «Dörfern» Wiens.

TEXT: FLORIAN MÜLLER
FOTOS: JANA MADZIGON

Freitagnachmittag, die Wiener ­Innenstadt wimmelt. Doch in der U-förmigen ­Kleeblattgasse, die an beiden Enden in die ­Tuchlauben mündet, verliert sich das Getümmel. «Die Kleeblattgasse ist wie ein kleines Dorf. Man grüßt sich in der Früh und fragt sich, wie es geht», erklärt Jenny ­Unger, die ­bereits vor über zehn Jahren gemeinsam mit ­Paula ­Bolyos die Buchhandlung ­ChickLit ­gegründet und heuer erstmals ein Straßenfest ­veranstaltet hat. Sie sieht das ­Lokal nicht an ­einer «noblen ­Adresse». Seit Jahrzehnten sind hier schon ­feministische ­Projekte zuhause. Zuvor ­waren es die ­Re­daktionsräumlichkeiten der Frauen­zeitschrift Auf. Damals, in den 70er-, 80er-Jahren, wurde einfach ein Raum für ­feministische Projekte gesucht und gefunden. Viele Nachbar:innen seien Kund:innen der Buchhandlung, erzählt Unger. Hier werden auch Fahrradpumpen hergeborgt und Pakete übernommen.
Sehr bewusst haben sich Katja Fetty und Bianca-Maria Braunshofer für ihren Standort im schicken Nordbahnhof-Viertel im zweiten Wiener Gemeindebezirk entschieden, an dem noch vieles im Entstehen ist. Auch o*books hat sich den Themen ­Feminismus, Queerness, LGBTIQ*, BIPoC, ­Anti-Rassismus und Inklusion verschrieben. «Wir sind trotzdem nicht die feministische und die queere Buchhandlung, weil wir uns auch als Grätzlbuchhandlung verstehen», erklärt Fetty. «Hätten wir einen anderen Standort, würde die Buchhandlung ein wenig anders aussehen und wäre wohl noch feministischer.» Das im Oktober eröffnete Geschäft will ein «Safe Space» sein. «Bei uns heißt Safe Space, dass sich jede Person willkommen fühlt. Egal, welche Hautfarbe sie hat. Oder ein Kind ist, das schreit.» Zu dieser Idee gehört eben auch, dass sich jede und jeder in der Auswahl der Bücher wiederfindet. So bringen Autor:innen wie Katja Gasser, Thomas Stipsits, Michelle Obama, Kamala Harris oder Ulrike Lunacek durchaus Glamour in das nüchterne Neubau-Interieur.
Mit einer Wühlbox vor dem Geschäft strahlt die Buchhandlung im good old Stuwerviertel, ebenfalls im Zweiten, ein wenig das Flair eines Antiquariats aus, das es aber definitiv nicht ist. Das sei dem Vorgänger ­geschuldet, erklärt Alban Knoll, der gemeinsam mit einem Freund vor sieben Jahren mit dem Geschäft auch gebrauchte Bücher übernommen hatte. Sein Kompapgnon ging vor zwei Jahren nach Berlin, Knoll schupfte Stuwerbuch eine Zeit lang allein. Seit ­Oktober 2020 unterstützt ihn Raphael ­Fürli ­einige Stunden pro Woche. Das Publikum im Stuwerviertel sei unheimlich bunt, betont Knoll: «Es gibt die Leute aus den ausgebauten Dachböden, es gibt junge Familien, eine serbisch-kroatische Community und auch Alteingesessene, die das Stuwerviertel noch ganz anders erlebt haben.» Auch das akademische Publikum sei mit der ­Fachhochschule und der Wirtschaftsuni nicht weit.

Was ins Regal kommt.

Sowohl der Online-Shop als auch die Holzregale bei ChickLit tragen Kategorien wie «Nonbinäre ­Romane» oder «Lesben- und Queer-­Krimis» und ­ebenso wie bei o*books spielen hier ­Bücher in leichter Sprache eine ­Rolle genauso wie Graphic Novels. Sind Männer in der Buchhandlung ChickLit eigentlich willkommen? «Feministisch ist das Ding, was das für ein Geschlecht ist, spielt ja ­keine ­Rolle», zieht Jenny Unger vollkommen zurecht die ­Frage in Zweifel. «Auf jeden Fall!», antwortet ­Katja Fetty von o*books und ergänzt: «Es ist statistisch belegt, dass Frauen eher ­Frauen ­lesen und Männer eher Männer.» Wenn es der Buchhandlung gelingt, ­diese Statistik zu durchbrechen, dann ist viel ­gelungen. ­Alban Knoll lächelt, als ich ihn mit der ­Phrase «­unabhängige Buchhandlung ­abseits des Mainstreams» von seiner Website konfrontiere und frage, was das in der Praxis bedeutet. «Ich suche Literatur von unabhängigen, kleinen Verlagen aus, die ein Programm bieten, das man eben nicht in jeder Buchhandlung findet.» Da gehe es um Regionen wie Georgien oder Zimbabwe, die selten im Fokus stehen. Und es geht um bestimmte Inhalte. Seine Kund:innen sollen «vielleicht Anstöße zu Dingen bekommen, die bis jetzt noch nicht Thema waren». Gleichzeitig kann man bei Stuwerbuch Klassiker der Weltliteratur wie den Don Quijote und Bücher von Toni Morrison und Hannah Arendt erstehen. Auch Stuwerbuch sieht sich als Grätzlbuchhandlung mit einem breiten Repertoire. Nicht unbedeutend sind Themen der Stadtgeschichte, speziell des zweiten ­Bezirks, weil sie einfach gefragt sind. Auch der eine oder andere Ausstellungskatalog steht in den ­Billy-Regalen mit grauer Patina.

Handlung mit Haltung.

Was würdet ihr tun, wenn jemand bei euch ein sexistisches, ­homophobes oder rassistisches Buch bestellen würde? «Wenn jemand etwas vom rechten Kopp Verlag bestellen will, zum Beispiel zu Seifen selber machen, dann gebe ich da schon einen Hinweis», erklärt Jenny ­Unger. Sie schlage dann ein ähnliches Buch aus ­einem anderen Verlag vor und dieser Vorschlag wird meist dankend angenommen. «Das würde ich nicht unkommentiert lassen und ich würde es nicht bestellen», sagt Katja Fetty ganz klar. Gleichzeitig hoffe sie, dass sie ihre Werte so gut nach außen transportieren, dass sie erst gar nicht in diese Zwickmühle kommen. «Ich ­versuche schon, mich möglichst wenig einzumischen, was die Leute ­lesen», erklärt Alban Knoll. Für ihn kommt es ein wenig auf die Hintergründe an. «Wenn die Leute ein bisschen naiv oder uninteressiert sind, dann bestelle ich vielleicht ein Kochbuch aus dem Kopp Verlag. Wenn aber eine klare Intention dahintersteht, dann nicht.» In letzter Zeit machen «Corona-kritische» Bücher aus einschlägigen Verlagen über einschlägige Vertriebe die Runde. Für Knoll ist klar, dass er dort nicht bestellt. Dann sage er einfach, eine Bestellung sei nicht möglich.
Schulbücher. Alle drei Buchhandlungen setzen auf Kooperationen mit Schulen und halten Lehrer:innen für ihr wichtigstes Publikum. So erhalten dank einer Initiative eines Elternteils die Schüler:innen des benachbarten Sigmund-Freud-Gymnasiums für guten und ausgezeichneten Erfolg Gutscheine von Stuwerbuch. Alle drei Büchertempel bieten exzellente Kinder- und Jugendbuchliteratur. Jenny Unger und ­Paula Bolyos von ­ChickLit definieren den Begriff Feminismus sehr ­umfassend, geht es doch um eine linke Grundhaltung einerseits und um ökologische Fragen bis hin zum Verpackungsmate­rial der Bücher andererseits. Praktikant:innen ­suchen sie sich aus sozialarbeiterisch ­betreuten Projekten. Auch o*books versucht Inklusion in allen Bereichen und arbeitet zum Beispiel mit dem Verein KoMiT zusammen, der mehrfachtherapeutische Zentren bietet. Bei der Website wird auf Barrierefreiheit geachtet.
Und was ist mit Konkurrenz durch Amazon und Co? Das spielt für alle drei laut eigenen Angaben eigentlich keine große Rolle in ihrem Buchhändler:innenalltag.

Welches Buch würdet ihr als Geschenk empfehlen?

ChickLit (1., Kleeblattgasse 7) empfiehlt:
Anna Kim: Geschichte eines Kindes
Roman
Suhrkamp 2022
220 Seiten, 23 Euro
www.chicklit.at

o*books (2., Bruno-Marek-Allee 24) empfiehlt:
Fatma Aydemir: Dschinns
Roman
Hanser 2022
368 Seiten, 24 Euro
www.o-books.at

Stuwerbuch (2., Stuwerstraße 42) empfiehlt:
Maria Muhar: Lento Violento
Roman 2022
Kremayr & Scheriau
208 Seiten, 22 Euro
www.stuwerbuch.at

Bildbeschreibung: Bianca-Maria Braunshofer, Katja Fetty: o*books hat kürzlich neu eröffnet