Angst & Hass, weil Wissen fehlttun & lassen

Ein Symposion beleuchtete das Betteln in Wien aus verschiedenen Perspektiven

Wir alle kennen sie, die medialen Bilder von den «bettelnden Ostbanden», die täglich durch unsere Zeitungen geistern. Über das reale Leben der Menschen, die mit Betteln ein paar Euros zu verdienen versuchen, wissen wir allerdings wenig. Und wo Information fehlt, können Misstrauen, Angst und Hass Fuß fassen, kann eine Menschengruppe zu Sündenböcken stilisiert werden, kann mit Fehlinformation hoher Sensationswert erzielt werden. Die BettelLobbyWien hat es zu ihrer Aufgabe gemacht, den Hetzkampagnen Informationen entgegenzustellen.Anfang Juni gab es nun auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Ferdinand Koller, Theologe und Bettellobbyist, organisierte gemeinsam mit der theologischen Fakultät Wien ein Symposion, wo das Thema Betteln aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen diskutiert wurde. Beleuchtet wurden dabei nicht nur die Geschichte des Bettelns, Erscheinungsformen des Antiziganismus, sondern auch die Wiener Bettelverbote. Zwei Tage intensiver Austausch, der für Vortragende und Publikum viel Neues und Aufklärendes brachte. Auf einige der Beiträge sei im Folgenden eingegangen, mehr Information gibt es auf der Website der BettelLobbyWien.

Die so genannten «Hintermänner»

BettlerInnen organisieren sich. Sie schließen sich in Gruppen mit Familienmitgliedern und NachbarInnen zusammen. Sie fahren gemeinsam nach Österreich, schlafen in Abbruchhäusern oder mieten sich Zimmer und halten beim Betteln Sichtkontakt, um wahrzunehmen, ob den anderen etwas passiert. Die Bildungswissenschafterin Marion Thuswald untersuchte die Situation und den informellen Wissens- und Kompetenzerwerb von Frauen, die nach Wien kommen, um hier zu betteln. Ihre Feldforschung basiert auf Beobachtungen und Gesprächen mit bettelnden Frauen in Wien und Graz. «Im öffentlichen Diskurs», so Thuswald, «wird bewusst offen gelassen, was organisiert betteln eigentlich heißt. Suggeriert werden mit diesem Begriff aber Ausbeutungsverhältnisse durch Hintermänner. Man sagt das nicht so offen, aber man will es mitschwingen lassen.» BettlerInnen werden somit genau in ihren Stärken angegriffen. Ihre sozialen Kontakte werden als mafiös bezeichnet und ihre Legitimität zu betteln wird ihnen abgesprochen. Es wird behauptet, dass sie ihre Kinder ausnutzen oder es gar nicht nötig haben zu betteln. «Ausbeutung», so Thuswald, «gibts auch in diesem Bereich, aber sie ist nicht so breit organisiert, wie suggeriert wird. Die BettlerInnen müssen überzogene Mieten zahlen, oder hohe Zinsen für geborgtes Geld, was aber der gängigen kapitalistische Logik entspricht. Niemand hat Beweise für die so genannte Bettelmafia. Es gibt auch keine Untersuchung, die das gefunden hat.» BettlerInnen stehen unter großem Druck, denn jede Art zu betteln muss in Wien mit Bestrafung rechnen. «Sie müssen ihr Anliegen eindringlich, aber nicht aufdringlich vermitteln. Der Grund der Bitte um Almosen muss glaubwürdig gemacht werden, doch zu starke Unterwürfigkeit kann ebenso kontraproduktiv sein, weil sie Bilder von Unterdrückung und Ausnutzung hervorrufen, wie offensives Verhalten, das als aggressiv eingestuft werden könnte», fasst Thuswald die Berichte der Frauen zusammen. Auszuhalten ist der Druck nur, wenn Betteln als Übergangslösung angesehen wird. Alle befragten Frauen hoffen auf Arbeitsmöglichkeit.

Die Funktion eines Stereotyps

Antiziganismus ist der Fachbegriff für Feindlichkeit, die sich gegen Menschen richtet, die als «Zigeuner» wahrgenommen werden. «Ich spreche über Bilder, Vorstellungen und Vorurteile, die die Dominanzgesellschaft entwickelt und die sich letztendlich in dem Wort Zigeuner zusammenfinden. Das hat nichts mit dem realen Leben von Roma und Sinti zu tun», betonte Markus End vom Zentrum für Antisemitismus der TU Berlin im Laufe seines Vortrags mehrmals. Die Dominanzgesellschaft grenzt eine Gruppe ab, weist ihr Eigenschaften zu und formt gleichzeitig eine Wir-Gruppe, der diese Eigenschaften nicht zugeschrieben werden. Markus End nennt ein Beispiel: Mit der Entwicklung des Frühkapitalismus brauchte man willige Arbeitskräfte. Das Zitat aus der Lutherbibel «wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen» wurde zu einem zentralen Motto. Fleiß und Disziplin waren nun Tugenden, während Faulheit zur Sünde wurde. Die Mehrheitsgesellschaft sucht sich also eine Projektionsfläche. Sie konstruiert das Bild des vermeintlich «müßig» in den Tag hinein lebenden «Zigeuners». Auf ihn projiziert sie und an ihm verfolgt sie die verbotenen, jedoch trotzdem bestehenden Regungen. Dem «Zigeuner» wurde immer wieder vorgeworfen, dass er von der Produktion der Mehrheitsgesellschaft lebt. Der Bauer, der unter dem «Zigeuner» leidet, ist nun der Passant, dem der Bettler den letzten Groschen aus der Tasche zieht.

«Wer wird überhaupt als Rom oder Romni wahrgenommen?», fragt End, «die, die nicht betteln, die einen normalen Beruf haben, die erkennen wir ja gar nicht als Roma. Wir sagen nicht, ach guck mal da, ein Rommaurer. Die Verknüpfung von Roma und Bettlern ist sehr eng.» Je nach Zustand der Dominanzgesellschaft werden Roma assimiliert, unterdrückt, verfolgt, vertrieben oder sogar vernichtet, völlig unabhängig davon, wie sich Roma verhalten. «Ein Lernen aus der gewaltvollen Diskriminierungsgeschichte gegenüber Roma, Sinti und anderen als Zigeuner Verfolgten, insbesondere aus der Verfolgung und Ermordung als Asoziale im Dritten Reich, scheint bis jetzt nur sehr begrenzt stattgefunden zu haben», bedauert End.

Bedenken einer Verfassungsjuristin

«… dass das organisierte Banden sind, mit dem gleichen Outfit, mit gleichem Wollmützerl …» (Barbara Feldmann, ÖVP, aus dem Protokoll der Landtagssitzung am 26. 3. 10) So und ähnlich argumentieren PolitikerInnen die «Organisiertheit» von BettlerInnen und, dass im Milieu «dieser Bettelbanden» kriminelle Praktiken zur Tagesordnung gehören. Ferdinand Koller hat sich die Argumente und Beweggründe für die Einführung des neuen Bettelverbots genau angesehen. Obwohl es zur Existenz der «Bettelmafia» keinerlei gesicherte Erkenntnisse gibt (Koller befragte dazu sämtliche österreichischen Polizeipressestellen) betonten die AntragstellerInnen (SPÖ Wien), dass man mit dem Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns vor allem gegen Ausbeutung und Menschenhandel vorgehen will.

In der Begründung des Gesetzesantrages war davon aber nichts zu lesen: «In letzter Zeit treten verstärkt Personen auf, die Wien offensichtlich organisiert und ausschließlich deshalb aufsuchen um zu betteln und sich auf diese Weise eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen.» Das Gesetz sollte sich der Begründung zufolge also gegen Menschen richten, die Wien «aufsuchen», und würde somit einen Unterschied zwischen WienerInnen und NichtwienerInnen machen. Eine solche Gesetzesauslegung wäre bedenklich, meint die Verfassungsjuristin Barbara Weichselbaum und verweist auf das verfassungsrechtliche Verbot rassischer Diskriminierung. «Die Aussagen und Begründungen der StadtpolitikerInnen zur organisierten Bettelei beziehen sich immer auf Menschen aus dem Ausland, besonders auf Roma», so Koller, der die Sitzungsprotokolle genau unter die Lupe genommen hatte. Die in den Aussagen verwendeten Bilder von kriminellen Banden, von Bossen, Hintermännern und Bettlerkönigen, die völlig unhinterfragt von verantwortlichen PolitikerInnen verwendet werden, tragen Elemente alter antiziganistischer Vorurteile.

«Allein durch ihr verwahrlostes Auftreten »

Barbara Weichselbaum vermutet auch eine Verletzung des Klarheitsgebots. Aus dem Gesetzestext geht nicht hervor, was «gewerbsmäßig betteln» heißt und wie man sich strafbar macht. «Wir werden das mit der Wiener Polizei besprechen», beschwichtigt Stadträtin Frauenberger in der Zeitung «Der Standard», doch «aus verfassungsrechtlicher Sicht sind solche Besprechungen irrelevant. Es sollte sich schon aus dem Gesetzestext ergeben, was hier überhaupt strafbar sein soll», so Weichselbaum. Auch die Strafhöhe von bis zu 700 Euro für den Verstoß gegen die Bettelbestimmung erscheint der Juristin sehr hoch und insofern verfassungsrechtlich problematisch. Sie verwies auch darauf, dass Bettelverbote generell keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechtspositionen von BettlerInnen bewirken dürfen, etwa auf das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens, es wäre aber auch an das Grundrecht auf Eigentum und die Erwerbsfreiheit zu denken, ja sogar das Grundrecht auf Leben kann betroffen sein, wenn die BettlerIn auf Spenden mildtätiger Menschen angewiesen ist, um ihr Überleben zu sichern. «Armutsbetroffene oder kranke Menschen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen ist höchst bedenklich. Nicht nur deren Rechte werden verletzt, sondern auch bestehende gesellschaftliche Probleme negiert», so Koller. In den Debatten des Wiener Landtags werden armutsbetroffene Menschen nicht als TrägerInnen von Rechten angesehen. Es wird getrennt: in BürgerInnen und «verwahrloste» Störfaktoren. Im Gesetzesantrag steht trotz massiver Proteste, dass Personen weggewiesen werden sollen, weil sie bei Bürgerinnen und Bürgern «allein durch ihr verwahrlostes Auftreten eine erhebliche Verunsicherung auslösen.»

Info:

Webseite der BettelLobbyWien

http://bettellobbywien.wordpress.com/