Mir bleibt auch nichts erspartArtistin

Richard Schuberths bunte Anleitungen zum Nonkonformismus

Der Autor, Satiriker, Gesellschaftskritiker Richard Schuberth ist dem Augustin seit 18 Jahren verbunden, ein Mann der ersten eineinhalb Stunden sozusagen, als Korrekturleser, als Cartoonist «Tricky Dicky», als Autor der Karl-Kraus-Serie und anderer Beiträge. Robert Sommer lud ihn zum Interview.

Foto: Richard Schuberth

Du lektorierst den Augustin. Das erlaubt dir sozusagen eine Außensicht. Was schätzt du an ihm, was stört dich an ihm? Wie hat er sich deiner Meinung nach entwickelt?

In seiner Anfangsphase hat der Augustin seine politische Stoßrichtung den Mitleidskäufer_innen, den Menschen mit Herz für die «Ormen», zuliebe etwas verheimlicht. Als er merkte, dass er aus Mangel an Alternativen zu einem wichtigen Medium des Gegenbewusstseins geworden war, wurde er dreister. Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert. Dafür liebe ich den Augustin. Und dass es Umsatzeinbrüche gibt, hängt vielleicht damit zusammen, dass die Leute weniger Geld haben, aber auch, dass viele von ihnen infolge ihrer Politisierung nun auf mehrere Quellen zurückgreifen. Was ja zu begrüßen ist.

Wie empfindest du als Literat und als «männlicher» Korrekturleser die obligate Genderung?

Danke für die Betonung meiner Männlichkeit. Als Materialist glaube ich durch bürokratisch verordnete Benimmregeln Rassismus und Sexismus nicht zuleibe rücken zu können. Andererseits lehne ich eine Sprachkritik ab, die das Unbehagen mit dem patriarchalen Charakter der Sprache bagatellisiert. Aus ästhetischen Gründen verzichte ich in meinen Texten aufs Binnen-I, aber es geht vielmehr um eine Sensibilität für das Problem. Deshalb versuche ich das generische Maskulinum, so gut es geht, zu umgehen.

Mir stößt beim Augustin was anderes auf: dass Vertreter_innen der Macht, also der aus linker Sicht Bösen – Banker, Nazis, Bullen etc. – immer bad guys, aber nie bad girls sein dürfen, während den Guten – Sozialarbeiter_innen, Minderheitenangehörigen, Gärtner_innen etc. – die Ehre der Genderung zuteil wird. Polizisten dürfen gerade mal Polizist_innen sein, wenn sie zuvor einer alten Dame über die Straße geholfen haben. Dieser romantische Kavaliers-Feminismus kommt bezeichnenderweise nur in den Texten männlicher Autoren vor.

Weil wir bei der Sprache sind. Deine Texte zwingen zur Reflexion, du bemühst dich aber um eine klare Sprache. In deinem jüngsten Buch «Bevor die Völker wussten, dass sie welche sind» distanzierst du dich zwar vom wissenschaftlichen Jargon, verwendest ihn im Mittelteil aber selber. Unterstützt du damit nicht die Exklusionsfunktion der Wissenschaft? Der Fairness halber sei hinzugefügt, dass es sich dabei um deine Abschlussarbeit im Fach Ethnologie handelt.

Wer bestimmt denn, was verständlich und was unverständlich ist? Alles was neu und fremd ist, befremdet, ist eine narzisstische Kränkung. Nicht umsonst hat Adorno Fremdwörter als die Juden der Sprache bezeichnet. Als geübte_r Sprachkritiker_in hast du schnell heraußen, wann Fachsprache Angeberei ist und der sozialen Abgrenzung dient oder aber Gehalt hat, wichtige Denkanstöße gibt. Die Trennung verläuft für mich nicht zwischen verständlicher und unverständlicher Sprache, sondern quer dazu zwischen phrasenhafter einerseits und gehaltvoller und fantasievoller Sprache andererseits. Ich halte es mit Kraus, der gefordert hat, keine ungewöhnlichen Wörter zu verwenden, sondern den Leser_innen gedankliche Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Sich aber dem jeweiligen Sprachgebrauch anzubiedern, ist nicht demokratisch, sondern unterstützt ja auch den jeweiligen Grad der Sprachverarmung.

Mir geht es um Sätze wie «Beide Sichtweisen gehen von der Dichotomie Tradition-Moderne aus, welche sich bis zu den strukturfunktionalistischen Schichtungstheorien eines Talcott Parsons fortpflanzt, die ethnische Identifikationen als traditionelle Relikte auffassen, ohne aber strukturelle Ungleichheit als mitverantwortliches Moment für ethnische Persistenz zu thematisieren.» Muss man das genau so formulieren?

Heute würde ich es nicht mehr so schreiben. Aber hast du keine schrecklicheren Stellen in meinem Buch gefunden als diese klare marxistische Ansage? Ich meine, dir zuliebe werden wir den Strukturfunktionalismus und Herrn Parsons nicht aus der Wissenschaftsgeschichte radieren können. Hunderte Suhrkampbücher und Universitätsbibliotheken strotzen vor echtem Kauderwelsch. Ich habe mich damals um Verständlichkeit bemüht, allerdings innerhalb der Wissenschaft. Aber der kann man doch nicht vorwerfen, dass sie Theorien und eigene Terminologien entwickelt hat. Man kann eben nicht alles in der Alltagssprache ausdrücken. Man kann jedoch unnötige sprachliche Hürden aus dem Weg schaffen. Wer aber alles sprengen will, was im Weg steht, der wird leider nicht an einer Sache wachsen.

Wenn man das Archiv deiner gesammelten Polemik durchforstet, gewinnt man den Eindruck, du überschüttest die Linke ebenso mit Spott wie dein wirkliches Gegenüber, die Macht. Man glaubt, du traust ihr nicht besonders viel zu.

Die Linke zu verspotten geht nicht, weil es die als Einheit gar nicht gibt. Aber ich glaube, dass eine der nobelsten Traditionen der Aufklärung die Kritik der Kritik ist. Auch eine sehr unbedankte. Aber kritischer Gestus, kritisches T-Shirt, kritische Absicht sind noch nicht kritisches Denken und Handeln. Wenn Nonkonformismus zum gut vermarktbaren Brand wird und wenn «Falter», «FM4» und «Standard» die Deutungshoheit darüber behaupten, was links, cool und subversiv sein darf, dann werden wir mit gutem Beispiel vorangehen, und ihnen mit allen Mitteln der Kunst & Analyse zeigen, was für systemkonforme Lulus sie sind.

Wirst du nie mit der Kritik konfrontiert, dass du radikales Theater und radikale Literatur in einer Zeit machst, in der die Macht nicht die geringsten Schwierigkeiten hat, die größte Provokation gegen sie zu inhalieren, und zwar auch deswegen, weil dein Werk, wie jede radikale Kunst, hauptsächlich Publikum findet, das dir applaudiert – weil du es, zugegeben, raffiniert und genial unterhältst?

Nein, werde ich nie. Das mag daran liegen, dass du meine Wirkung überschätzt. Ich stehe im Vergleich zu vielen Künstler_innen und Intellektuellen, die das von sich behaupten, wirklich außerhalb der kulturellen Institutionen und zahle auch einen hohen Preis dafür, und zwar außerhalb des Mainstreams und außerhalb jener Heurigenpartien, die sich Gegenkultur nennen. Das heißt nicht, dass ich nicht gerne in der «Zeit» schreiben und meine Stücke nicht im «Burgtheater» sehen möchte. Man kann lang darüber räsonieren, warum das so ist. Ich will mich nicht selbst überschätzen. Aber die Regeln des Betriebs nicht zu akzeptieren und das auch begründen zu können, wird einem_r nie verziehen. Auch von vielen Linken nicht. Wie dir aufgefallen sein wird, trete ich selten auf, und wenn, dann an untypischen Orten. Manchmal wirft man mir auch vor, dass ich resigniere, immer weniger Artikel schreibe; das liegt aber daran, dass ich immer weniger Publikationsmöglichkeiten habe. Es gibt Leute, die mir applaudieren, aber noch mehr, die mich ablehnen würden. Leider kennen mich die noch nicht, weil man ihnen so wenig Gelegenheit gibt, mich kennenzulernen.

Ich habe oft den Eindruck, du verteidigst die Theorie gegen die Praxis. Man hört zumindest selten Reflexionen von dir zu praktischen gesellschaftlichen Fragen wie der Stellung der Linken zum Staat, zum Parlamentarismus, zu konkreten sozialistischen Utopien.

Nun, ich kann mich nicht zu allem äußern, sonst hieße ich Liessmann. Tu es aber trotzdem. Ich verteidige übrigens oft auch die Praxis gegen die Theorie. Aber das hört man nicht, weil sich außer mir mit den reinen Anhänger_innen der Theorie niemand abgeben will. Soll ich was dazu sagen?

Bitte.

Gut. Im Telegrammstil: Regenbogenkoalition aller fortschrittlichen Kräfte super. Staat aber leider unverzichtbar. Nicht nur aus Gründen der Infrastruktur, sondern Instanz, um Overkill der freien Marktkräfte einzudämmen. Entscheidet man sich für Demokratie, ist Kommunismus vom Tisch und nur noch Sozialdemokratie eine Option. Doch auch die wird durch Medienmacht schon als linksradikal diffamiert, und in Griechenland war zu sehen, wie eine harmlose Sozialdemokratie à la Vranitzky vom EU-Kartell wie eine Küchenschabe zerdrückt wurde. Wer also biedere soziale Kuschelmarktwirtschaft wie in Schweden 1975 haben will, muss gegen die Maschine kämpfen wie ein Bolschewik. Ohne Gewalt wird nichts laufen. Das System und dessen Träger_innen müssen Angst haben. Die meisten zivilgesellschaftlichen Grassrootsinitiativen gehen denen so was von am Arsch vorbei.

Deine polyartistische Disposition drängt dich nun auch zum Film. Was ist das Besondere an deinem Projekt «Die wundersamen Abenteuer des Nasreddin Kürtler»?

Meine polyarthritische was ….? Plauder nicht meine Krankheiten aus, sonst krieg ich keinen Job mehr. Also, solche Worte würde ich nie verwenden. Nicht einmal in einer Diplomarbeit.

Mich drängt es schon lange zum Film. Ich hab fünf Drehbücher geschrieben, dreimal den Carl Mayer Drehbuchpreis gewonnen. Den «Nasreddin Kürtler» hab ich 2003 geschrieben für meinen Freund Mehmet Emir, noch bevor der zum Augustin kam. Das ist die Geschichte eines kurdischen Wirtschaftsflüchtlings, der den österreichischen Sozialstaat ausnützen und den Österreichern die Frauen ausspannen will. Mehr sei nicht verraten. Ich wollte da immer selber Regie machen, weil das die geilste österreichische Komödie ever würde. Ich hab diese Ambition irgendwann aufgegeben, bis ich den Produzenten Denis Mujović kennenlernte. Der glaubte an das Projekt und hat mir einen Tritt in den Hintern gegeben. Jetzt haben wir einen 17-minütigen Pilotfilm hergestellt, der wird am 16. 12. im Schikaneder präsentiert. Mir bleibt auch nichts erspart. Dass Mehmet 12 Jahre älter geworden ist, schadet dem Film auch nicht. Er ist ein wunderbarer Komödiant.

Und auf welche Projekte dürfen wir noch gefasst sein?

Ich arbeite schon lange an einem riesigen historischen Werk, «Lord Byrons letzte Fahrt», damit möchte ich meine Beschäftigung mit SO-Europa und mit dem Kulturalismus abschließen, eine Geschichte der nationalen Mythen zwischen Wien und Istanbul. Dann eine Anleitung zum Nonkonformismus für 15- bis 25-Jährige («How Not To Become A Zombie»), dann ein weiterer Roman vielleicht, Filme – gescheite, fiese Komödien, und wenn Zeit bleibt, werde ich Punk-Chansonnier und Burlesque-Tänzer.


Buchtipp:

Richard Schuberth

Bevor die Völker wussten, dass sie welche sind

Ethnizität. Nation. Kultur. Eine (antiessenzialistische) Einführung

Promedia Verlag, Wien 2014